Mehr Investitionen und Innovationen am Heimatstandort

Erwartungen der hessischen Wirtschaft an die Politik nach der Bundestagswahl 2021

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Geld und Währung

2 Nullzinspolitik beenden und Geldpolitik normalisieren

2.1 Vertrauen in die Geldordnung erhalten

Das Vertrauen in eine stabile Geldordnung mit Preisniveaustabilität nach innen und außen ist nach Walter Eucken und Ludwig Erhard eine Voraussetzung dafür, dass eine wettbewerbliche Marktwirtschaft für Wohlstand sorgt. Die stabilitätsorientierte Geld- und Währungspolitik der Deutschen Bundesbank war das Rückgrat des wirtschaftlichen Erfolgs Deutschlands. Auch der Euro weist nach 20 Jahren eine hohe Preisniveaustabilität auf: Sein Außenwert ist tendenziell stabil und die gemessenen Raten des BIP-Deflators und der Verbraucherpreisinflation sind gering – jedoch ohne die Preisanstiege von Vermögenswerten wie Immobilien in A-Lagen und bei nur geringer Berücksichtigung der Mieten. Weitere Bedingungen einer stabilen Währung sind die formelle Unabhängigkeit der Notenbank und die Bindung an ihr Mandat, was sie aber nicht frei von Kritik an ihren tatsächlichen Entscheidungen stellt.

2.2 Geldmenge siebenmal höher als 2008

Leider trügt aber der Anschein eines stabilen Euros. Die meisten Euro-Staaten erfüllen die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages selten oder nicht: Die Schulden der meisten Staaten sind in Relation zu ihrer Wirtschaftsleistung hoch geblieben oder weiter gestiegen, insbesondere seit der Finanzkrise 2008: Entgegen vielfacher Behauptungen haben neue Schulden nicht zu mehr Wachstum und zur Reduktion der Schuldenstandsquoten geführt. Das Bruttoinlandsprodukt im Euro-Raum lag 2019 nur rund 10 Prozent höher als 2008, aber die Schuldenstandsquote stieg in diesen elf Jahren von knapp 70 auf 84 Prozent des BIP. Eine zentrale Ursache für das Anwachsen des Schuldenberges ist – neben der mangelnden Fiskalpolitik der Staaten – die extrem expansive Geldpolitik der EZB (Draghi, 2012: „Whatever it takes“). Sie hat zwar die Zinslasten reduziert und die Zahlungsunfähigkeit einzelner Staaten verhindert, indem die EZB immer mehr Staatsanleihen am Kapitalmarkt aufkauft und die Zinsen niedrig hält. Die Geldmenge im Euroraum wurde von 900 Milliarden Euro zu Beginn der Finanzkrise 2008 auf über 6.000 Milliarden Euro in 2021 versiebenfacht. Von einer extrem expansiven Geldpolitik gehen mehrere Gefahren für Wirtschaft und Gesellschaft aus.

2.3 Gefahr I: Miniwachstum

An erster Stelle droht eine Schwächung des Potentialwachstums der Wirtschaft. Die Nullzinspolitik verzerrt zum einen die relativen Preise von Gütern und Dienstleistungen sowie von Löhnen in verschiedenen Branchen, was die effiziente Allokation der Produktionsfaktoren unterhöhlt. Zum anderen konserviert die Nullzinspolitik Wirtschaftsstrukturen. Sie verhindert das Ausscheiden von nicht oder wenig profitablen Unter­nehmen aus dem Markt – zum Nachteil innovativer starker Unter­nehmen. Die sog. „Zombi-Unter­nehmen“ überleben zwar dank günstiger Finanzierungsbedingungen. Sie sind aber zu schwach für hinreichend neue Investitionen. Weil die in „Zombi-Unter­nehmen“ gebundenen Ressourcen (Beschäftigte, Kapital, Flächen) andernorts produktiver einsetzbar wären, wird das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft zu wenig ausgeschöpft. Es drohen Miniwachstum und Stagnation. Japan ist seit langem ein Negativbeispiel dafür, wie eine anhaltend extrem expansive Geldpolitik kombiniert mit steigender Staatsverschuldung die Wachstumsrate der Wirtschaft niedrig hält. Das reale Lohnniveau fällt in Japan im Trend seit 1998.

2.4 Gefahr II: Anstieg des Konzentrations­grades

Eine weitere gefährliche Wirkung der Nullzinspolitik ist die Begünstigung von großen Unter­nehmen, die infolge der niedrigen Zinsen und des Aufkaufs von Unter­nehmensanleihen durch die EZB in der Lage sind, ihr Fremdkapital erheblich auszubauen und damit z. B. Übernahmen von kleineren Konkurrenten zu tätigen. Kleine und mittlere Unter­nehmen – wie etwa das Handwerk oder viele industrielle Familienunternehmen – profitieren von diesem Hebeleffekt im Allgemeinen nicht. Sie besitzen einen deutlich höheren Eigenkapitalanteil. Zudem finanzieren sich kleine und mittlere Unter­nehmen in der Regel bei kleinen und mittleren Hausbanken, die durch die extrem expansive Geldpolitik und wachsende Regulierungskosten unter Druck sind, die Kreditzinsen höher als auf den Kapitalmärkten zu halten. Mithin besteht die Gefahr eines steigenden Konzentrations­grades der Wirtschaft. Dies kann die Wettbewerbsdynamik auf den Märkten dämpfen.

Hinzu kommt: Wenn die Nullzinspolitik große Unter­nehmen besserstellt, dann gilt dies auch für jene Städte und Regionen, in denen große Unter­nehmen angesiedelt sind. Insofern kann die extrem expansive Geldpolitik zur relativen Schlechterstellung von Städten und Regionen beitragen, die überwiegend durch kleine und mittlere Unter­nehmen geprägt sind. Da große Unter­nehmen und Teile des öffentlichen Sektors höhere Löhne als viele kleine und mittlere Unter­nehmen bezahlen können, werden vor allem junge Menschen – zusätzlich zu anderen Motiven – anlasst, in die wirtschaftlichen Metropolen und Verwaltungszentren abzuwandern.

2.5 Gefahr III: Hohe und unkontrollierte Inflation

Eine dritte Gefahr extrem expansiver Geldpolitik ist eine unkontrollierte Inflation. Die auf über 6.000 Mrd. Euro ausgeweitete Geldmenge im Euroraum wird derzeit größtenteils von den Kreditinstituten auf den Konten bei den Notenbanken gehortet. Zuvor hatten die Kreditinstitute Anleihen der Staaten im Rahmen von Neuemissionen erworben und diese an die Notenbanken weiter verkauft. Eine hohe und unkontrollierte Inflation kann entstehen, wenn die große Geldmenge in den allgemeinen Wirtschaftskreislauf fließt und das Angebot an Gütern und Dienstleistungen nicht rasch genug wächst. Derzeit sehen die Kreditinstitute offenbar keine ausreichend attraktiven Anlagemöglichkeiten für das Geld in Unter­nehmen oder in den privaten Haushalten und entscheiden sich noch zur Geldhortung. Zugleich ist das Verbrauchsgüterangebot in vielen Segmenten noch hinreichend hoch, so dass sich kein Inflationsdruck entfaltet. Das kann sich jedoch ändern.

2.6 Gefahr IV: Zu hoher Staatsumfang

Der große Umfang staatlicher Tätigkeiten im Euroraum und dessen Ausweitung in den zurückliegenden Jahren sowie die Staatseingriffe während der Corona-Krise wurden und werden durch die extrem expansive Geldpolitik der EZB erleichtert. Kurzfristig könnten die Kosten der grundsätzlich gerechtfertigten Beschränkungen von Wirtschaftstätigkeiten im Rahmen der Corona-Bekämpfung unterschätzt werden, da der Staat Hilfen und Entschädigungen mit Schulden leichter finanzieren kann. Langfristig unterstützt diese Geldpolitik eine Staatsaufblähung. Die Staatsquote droht mittelfristig über 50 Prozent des BIP zu klettern, so dass zu wenig Raum für unternehmerische Initiativen und Innovationen bliebe. Dann könnte nicht mehr davon gesprochen werden, dass eine freie, wettbewerbliche Marktwirtschaft existiert und dass das private Eigentum hinreichend geschützt ist.

2.7 Gefahr V: Verteilungseffekte

Die Geldpolitik der EZB hat Verteilungseffekte, die nur schwer zu quantifizieren sind, aber tendenziell auf Kosten der Mittelschicht und der jungen Generation gehen dürften. Die Nullzinspolitik erleichtert zwar die Sicherung der Beschäftigung und damit die Einkommen, aber sie dämpft auch die ohnehin schon schwache Wachstumsrate der Produktivität, die die Basis für reale Lohnerhöhungen ist. Zudem werden Bankeinlagen, die immer noch die wichtigste Sparform der deutschen Mittelschicht sind, real entwertet, während Aktien- und Immobilienpreise stärker steigen. Junge Menschen werden faktisch vom Immobilienmarkt ausgeschlossen, so dass ihnen die Vermögensbildung erschwert wird. Diese Prozesse könnten insgesamt die politische Polarisierung befördern und die Verbreitung sozialistischen Gedankenguts befeuern, wie die Befürwortung des bedingungslosen Grundeinkommens, der Vermögensteuer oder der Anhebung der sog. Reichensteuer.

2.8 Extrem expansive Geldpolitik beenden

EZB und Notenbanken haben teilweise die Staatsschulden monetarisiert, d.h. sie haben Teile der Staatsausgaben indirekt mit der Notenpresse finanziert. Das hat Wirtschaftsstrukturen verzerrt, das Potenzial­wachstum geschwächt, den Konzentrations­grad der Wirtschaft erhöht, Inflationsgefahr erzeugt, zur Staatsaufblähung beigetragen und bedenkliche Verteilungseffekte hervorgerufen. Die extrem expansive Geldpolitik ist ökonomisch gefährlich und muss beendet werden. Auch rechtlich ist diese Geldpolitik umstritten. Weder im Maastricht- noch im Lissabon-Vertrag ist eine rechtliche Basis erkennbar. Bundesregierung und Bundestag müssen anders als 2020 strenger von der EZB die Einhaltung ihres Mandats verlangen. Zu beachten ist, dass die Nullzinspolitik im Euroraum durch ein ähnliches Verhalten der Notenbanken in anderen wichtigen Währungsräumen erleichtert wird. Ohne die weltweit expansiven Geldpolitiken würde der Euro tendenziell abwerten. Dann wären die Kosten der Nullzinspolitik unmittelbar spürbar, etwa für die Konsumenten durch höhere Importpreise. Der globale Aufbau von Schuldenbergen ist keine Legitimation für ein „Weiter so“ der EZB.

2.9 Kein „kalter Entzug“ vom „billigen Geld“

Kurz- und mittelfristig sind keine Lösungen realistisch, da sich Staaten und Investoren nur langsam vom „billigen Geld“ und Unter­nehmen und private Haushalte nur langsam von den schuldenfinanzierten Extra-Einkommen entwöhnen können. Ein „kalter Entzug“ wäre weder politisch mehrheitsfähig noch ökonomisch ratsam. Denn es drohten Schocks, da der Gewöhnungseffekt nach rund zehn Jahren erheblich sein dürfte. EZB und Notenbanken sollten ihre Wertpapierkäufe zunächst nicht mehr weiter ausweiten und dann nur langsam reduzieren. Sie sollten die Staaten nur allmählich zwingen, ihre Ausgaben effizienter zu gestalten und einen steigenden Anteil der benötigten Kredite am Kapitalmarkt aus der Ersparnis des Privatsektors zu finanzieren.

2.10 Langsame Zinswende mittels langfristiger Anpassungsstrategie

Die EZB sollte jetzt ankündigen, nach Bewältigung der Corona-Pandemie – voraussichtlich in 2022 – ihre Käufe von Staats- und Unter­nehmensanleihen allmählich zu verringern und spätestens nach drei Jahren ganz einzustellen. Sodann sollte sie über einen langen Zeitraum –mindestens zehn Jahre – die Zinsen schrittweise erhöhen und einen angemessen hohen Anteil ihrer Wertpapierbestände wieder abschmelzen lassen bzw. verkaufen, um bis etwa 2035 die Geldpolitik zu normalisieren. Die EZB muss glaubhaft erklären, dass sie die Geldpolitik normalisieren und keinen Euro-Staat mit geringer Reformambition monetär unterstützen wird. Eine solche Wende würde eine Rückkehr zu einer angebotsorientierten Wachstumspolitik signalisieren und sofort signifikant die Wachstumserwartungen aufhellen.

2.11 Zinssignale am Kapitalmarkt ohne Verzerrung wirken lassen

Der Politikwechsel würde die Kurse vieler Anleihen senken und die Zinsen steigen lassen. Die Zinsspreads der Euro-Staaten würden steigen und das unterschiedliche Gläubigerrisiko offenlegen. Alle Staaten wären gezwungen, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften und die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte zu verbessern, indem sie z.B. Arbeits- und Gütermärkte liberalisieren, Ansprüche in den Sozialsystemen begrenzen und den öffentlichen Sektor entbürokratisieren. Erfolgreiche Reformen würden mit niedrigen Risikoprämien belohnt. Bei Reformverweigerung würden die Anleger höhere Zinsen verlangen, weil das Ausfallrisiko stiege. Dies darf bis zur Frage führen, ob ein Land sich besser stellte, wenn es zeitweilig den Euro verließe und mit einer abgewerteten Währung Wettbewerbsfähigkeit gewönne und durch steigende Importpreise zu Reformen veranlasst würde. Die Vorteile der gemeinsamen Währung dürften dazu führen, dass alle oder die meisten Staaten sich für einen Verbleib im Euro und für die nötigen Reformen entscheiden.

2.12 Wächterfunktion der Kapitalmärkte akzeptieren

Die Bundesregierung und der Bundestag sollten nicht länger die „Beruhigung der Kapitalmärkte“ als ein Ziel der Wirtschaftspolitik bezeichnen, auch nicht während Krisen, die für eine Marktwirtschaft ganz normal sind. Im Gegenteil: Nur wenn Investoren riskieren, ihr Vermögen zu verlieren, verlangen sie adäquate Zinsaufschläge. Das reduziert die Anreize überschuldeter Staaten und großer Unter­nehmen, sich weiter zu verschulden. Gerade ein föderales System wie der Euroraum muss die Wächterfunktion des Kapitalmarktes zulassen. Der Ersatz durch nationale Schuldenregeln und eine politische Kontrolle in Brüssel ist in vielen Euro-Staaten gescheitert. Die indirekte gemeinsame Verschuldungsmöglichkeit im Euro-Raum und künftig die direkte EU-Verschuldung schaffen eine künstliche Sicherheit für Investoren, die die Lenkungsfunktion des Kapitalmarktes untergräbt.

2.13 Bargeld unbegrenzt als Zahlungsmittel erhalten

Auch wenn geschäftliche und private Zahlungsvorgänge dank der Digitalisierung überwiegend elektronisch erfolgen, muss der Bundestag das Bargeld unbegrenzt als gesetzliches Zahlungsmittel erhalten. Bürger und Unter­nehmen wollen das Recht und die technische Möglichkeit behalten, frei darüber zu entscheiden, welche Geschäfte sie mit Bargeld tätigen und welche sie elektronisch abwickeln. Sie wollen frei entscheiden, ob und wo sie digitale Spuren hinterlassen und wo nicht. Sie wollen nicht, dass Staaten bzw. Finanz- oder Internetunternehmen in jedem Fall wissen können, wer wann, wo und was gekauft hat. Und diese sollen auch nicht automatisch wissen, wo und wofür Unter­nehmen aus Industrie, Handel und Handwerk ihr Geld ausgeben. Das Leitbild eines „gläsernen Bürgers“, „gläsernen Konsumenten“ und „gläsernen Unter­nehmens“ ist strikt abzulehnen.