Mehr Investitionen und Innovationen am Heimatstandort

Erwartungen der hessischen Wirtschaft an die Politik nach der Bundestagswahl 2021

4|
Haushalt

4 Wachstumsfreundliche Konsolidierung

4.1 Generationengerechtigkeit beachten, Schuldenbremse nicht lockern

Deutschland kann die finanzielle Dimension der Corona-Krise im internationalen Vergleich noch souverän bewältigen. Die öffentlichen Haushalte haben für „schlechte Zeiten“ relativ gut vorgesorgt. Die Schuldenbremse hat Haushaltskonsolidierungen erzwungen und dazu beigetragen, eine Stabilitätskultur in Politik und Gesellschaft zu festigen. Zurecht hatte der Bund seinen Verschuldungsspielraum in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (ca. 10 Mrd. Euro p.a.) im Aufschwung nicht ausgenutzt. Dank der Politik der „schwarzen Null“ sind die Finanzen des Bundes solider als früher. Im Sinne der Generationengerechtigkeit ist dieser Weg fortzusetzen. Die Schuldenbremse darf nicht gelockert oder gar abgeschafft werden.

Zusätzlich muss der Bundestag aber mehr strukturelle Vorsorge für die enormen Zukunftslasten treffen, bevor er Wünsche in der Gegenwart – insbesondere höhere Sozialausgaben und Subventionen, aber auch Investitionen – erfüllt.

Haushaltspolitik wird insgesamt schwieriger. Denn in den 2010er Jahren haben der starke Beschäftigungsaufbau und der Zinsrückgang die strukturelle Sanierung der öffentlichen Haushalte erleichtert. Diese günstigen Rahmenbedingungen werden sich voraussichtlich nicht wiederholen. Die öffentliche Hand steht vor einem Jahrzehnt des Verzichts.

4.2 Konsolidierung im Einklang mit Wirtschaftswachstum

Nach der Krise und im Zuge der wirtschaftlichen Erholung muss der Bundestag etwa ab 2022 – spätestens ab 2023 – die fiskalische Tragfähigkeit des Haushalts durch geeignete Konsolidierungsschritte sichern, so dass der Staat handlungsfähig bleibt und erneut europäische und nationale Vorgaben erfüllt. Die mittelfristige Finanzplanung beinhaltet dies zurecht auch. Dabei sind Maßnahmen zu vermeiden, die das Potenzial­wachstum schwächen, da sonst die Steuereinnahmen sinken. Ein Teil des Konsolidierungsbedarfs kann wieder durch Steuermehreinnahmen dank des Wirtschaftswachstums erreicht werden.

Eine ausgabenseitige Konsolidierung, die eine Erhöhung verzerrender Ertragsteuern vermeidet und tendenziell mit größeren Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts einhergeht, ist vorzugswürdig gegenüber einnahmeseitigen Ansätzen mit höheren Steuern. Allerdings sollte möglichst eine Verstetigung der Höhe der Investitionsetats gewahrt werden.

4.3 Corona-Schulden schneller tilgen

Die Corona-Neuverschuldung in 2020 und 2021 in Höhe von bis zu 314 Mrd. Euro ist eine nach Art. 115 GG gerechtfertigte Ausnahme im Rahmen der Schuldenbreme. Die Corona-Lasten dürfen nicht auf die nächste Generation verschoben werden, auch nicht teilweise. Die heutige Generation muss sie selbst tragen. Denn etwa alle sechs bis zehn Jahre ist mit einer Wirtschaftskrise zu rechnen. Der Bundestag sollte beschließen, die Corona-Schulden ab 2023 binnen 10 Jahren zu tilgen und nicht wie geplant binnen 20 Jahren erst bis 2042.

4.4 Im Aufschwung den bisherigen Schuldenberg verkleinern

Nach der Corona-Krise muss der Bund in Jahren des Aufschwungs eine restriktive, aber noch wachstumsfreundliche Fiskalpolitik betreiben: Zusätzlich zu Corona-Tilgungsleistungen muss er einen Teil des zuvor schon bestehenden Schuldenberges abbauen, also antizyklisch netto Schulden tilgen. Das ist zum einen stabilisierungspolitisch geboten, um Spielräume für erneute Notfall-Reaktionen und für eine evtl. nötige expansive Fiskalpolitik in kommenden Makrokrisen zu schaffen. Zum anderen kann niemand wissen, ob und wann es eine Wende hin zu steigenden Zinsen gibt. Ein dauerhafter Anstieg des Zinsniveaus würde die öffentliche Hand massiv belasten, da nicht zu erwarten wäre, dass das Wirtschaftswachstum und das Steueraufkommen gleichermaßen ansteigen werden.

4.5 Implizite Verschuldung: Keine neuen Leistungsversprechen, mehr Rücklagen

Ab dem laufenden Jahrzehnt wird die Generation der Babyboomer in Ruhestand gehen, ohne dass es genügend Nachwuchs an Erwerbstätigen zur Bedienung all ihrer Ansprüche an die öffentliche Hand gibt. Als Folge sind erhebliche Mehrbelastungen von Steuer- oder Beitragszahlern unvermeidlich – sofern angemessene Leistungskürzungen weiterhin politisch nicht mehrheitsfähig sind. Diese sog. implizite Verschuldung betrug Ende 2020 rund 320 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das war viermal so hoch wie die expliziten Kreditschulden des Staates. Die Stiftung Marktwirtschaft erwartet, dass die Nachhaltigkeitslücke als Summe aus expliziter und impliziter Verschuldung auf 13,8 Billionen Euro bzw. über 400 Prozent des BIP im laufenden Jahr 2021 steigen wird.

Deshalb muss der Bundestag jetzt einen Schutzwall gegen die Überforderung der jungen, erwerbstätigen Generation errichten: Es muss Schluss sein mit Lastverschiebungen in die Zukunft. Es darf per Saldo keine zusätzlichen neuen Leistungsversprechen in den gesetzlichen Sozial­versicherungen geben. Zudem muss der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung bei 100 Mrd. Euro gedeckelt werden. Und um dem niedrigen Zinsniveau zu entsprechen, muss der Bundestag für die Bundesbeamten deutlich höhere Rücklagen für Pensionen und Beihilfen bilden und über Jahrzehnte sichern. Diese müssen versicherungsmathematisch korrekt berechnet sein.

4.6 Genereller Finanzierungsvorbehalt

Die Erfordernisse der Zukunftsvorsorge haben grundsätzlich Vorrang vor Anliegen in der Gegenwart. Alle heutigen Wünsche – auch die der Wirtschaft – dürfen erst dann eingeplant und realisiert werden, wenn angemessene Maßnahmen zur Zukunftsvorsorge finanziert sind. Auch die Anliegen und Vorschläge der VhU stehen unter einem Finanzierungsvorbehalt.

4.7 Mehr Wirtschaftswachstum durch Steuersenkung und öffentliche Investitionen

Neben mehr Zukunftsvorsorge ist im Bund eine Haushaltsstrukturreform nötig, damit der Bundeshaushalt wirkungsvoller Impulse für dauerhaftes und höheres Wirtschaftswachstum setzt: Konsumtive Ausgaben müssen langsamer wachsen als der Gesamthaushalt, was vereinzelt auch Kürzungen erfordert, etwa bei den Sozialausgaben.

Auch bei den Subventionen sollte der Bundestag kürzen. Dabei muss er dasselbe Ambitionsniveau wie die Koch-Steinbrück-Liste aus dem Jahr 2003 anstreben, seitdem kein systematischer und großer Subventionsabbau mehr gestartet wurde. Auch direkte und indirekte Subventionen für Unter­nehmen, durch die kein offenkundiger Beitrag zur Stärkung der Innovationskraft des Wirtschafts­standorts erwächst, müssen entfallen.

Die so geschaffenen Haushaltsspielräume sollte der Bundestag primär für steuerliche Entlastungen von Unter­nehmen nutzen, damit die Wirtschaft in ihrer ganzen Breite am Heimatstandort mehr Anreize für private Investitionen hat. Dies unterstützt auch die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Zusätzlich sollte der Bund schrittweise speziell jene öffentlichen Investitionen erhöhen, die Staat und Wirtschafts­standort ertüchtigen. Zum Beispiel geht es darum, die Verwaltungen zu modernisieren, die digitale Infrastruktur auszubauen, das Energiesystem treibhausgasneutral umzubauen und Verkehrswege besser zu erhalten und auch neu- und auszubauen.

4.8 EU: Marsch in Schulden-, Transfer- und Haftungsunion stoppen

Die Zustimmung der Bundesregierung zur Schuldenaufnahme der EU in Höhe von 750 Mrd. Euro war ein politischer Fehler – ebenso wie die jahrzehntelange Tilgungsdauer und die Planung neuer Einnahmen der EU. Entgegen der moralisierenden Sprache wird gerade heute keine „Solidarität“ geleistet, sondern die Rechnung geht an Kinder und Enkel. Insofern passt zumindest bei der Finanzierungslast der englische Titel: „Next Generation EU“. Die Neuverschuldung von heute ist die Steuererhöhung von morgen – diese Warnung vor einer Lastverschiebung gilt auch auf EU-Ebene. Die nächste Bundesregierung muss alles daran setzen, dass die Schuldenaufnahme einmalig bleibt – wie derzeit noch beschlossen.

Die Bundesregierung muss ebenfalls darauf dringen, bestehende Schattenhaushalte wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu begrenzen. Hilfskredite des ESM dürfen nur als ultima ratio und gegen Auflagen gewährt werden (Konditionalität). Der ESM-Instrumentenkasten muss vereinfacht werden.

Darüber hinaus ist eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erforderlich, sobald die Corona-Krise überwunden ist. Erforderlich ist insbesondere eine Rückkehr zu klaren und einfachen Regeln und eine Verschärfung der Sanktionen für diejenigen Länder, die dauerhaft gegen die vereinbarten Prinzipien der Haushaltsführung verstoßen.

Die Bundesregierung muss darauf bestehen, dass die EU und das EU-Parlament weiterhin kein eigenständiges Recht zur Einnahmenerzielung durch Steuern oder Abgaben erhalten. Dies muss den Mitgliedstaaten und in Deutschland Bund, Ländern und Gemeinden vorbehalten bleiben. Das EU-Budget von gut einem Prozent des Bruttonationaleinkommens muss in den aktuellen Strukturen der EU ausreichen. Zudem sollte ein Ankauf von EU-Anleihen durch die Europäische Zentralbank verboten werden. Die EU ist ein Staatenbund und kein Bundesstaat.

Anderenfalls wären nicht nur eine Erhöhung der Staatsquote und eine Mehrbelastung der Unter­nehmen und Bürger in Deutschland zu befürchten, sondern auch eine zusätzliche Verzerrung des Wettbewerbs auf Märkten durch neue EU-Steuern, wie die abzulehnende Digitalsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder eine CO2-Grenzausgleichsabgabe.