Gemeinsam zum Erfolg: Dauerhafte Kooperationen und Erfahrungsaustausch stärken die Unter­nehmen und die Universitäten.

Dr. Oliver Fromm, Kanzler der Universität Kassel

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Verschriftliche aktiv-Interview zum HESSENFORUM am 11. Mai:

Interview zum HESSENFORUM 2022

„Wissenstransfer ist keine Einbahnstraße. Dauerhafte Kooperationen, in denen Wissen und Erfahrung in beide Richtungen geteilt werden, stärken die Unter­nehmen und die Universitäten. Wenn Praxis und Theorie aufeinandertreffen, können sich phantastische Symbiosen und Möglichkeiten entwickeln, wenn man es zulässt. Gemeinsam trägt man so zu wirtschaftlichem Erfolg bei.“  Dr. Oliver Fromm, Kanzler der Universität Kassel

Qualität, Dialog und Zusammenhalt

Herr Dr. Fromm, was ist aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für den Erfolg eines Unter­nehmens? Sind es neue Geschäftsmodelle, Innovation und Technologieführerschaft oder die Arbeitsorganisation?

Innovation heißt, dass sich ein Produkt oder Prozess am Markt durchgesetzt hat. Mit einer neuen Erfindung allein, wie sie etwa hier in unserer Universität oft gelingt, ist ja noch nichts gewonnen. Erst danach beginnt der Weg von der Erfindung neuer Technologien in den Markt, sei es über die Prozesse, sei es über ein neues Produkt oder auch über eine Dienstleistung. Und dieser Weg ist alles andere als trivial.

Das Beschreiten dieses Weges ist nicht die originäre Aufgabe einer Universität. Gerade deshalb ist die Zusammenarbeit mit Unter­nehmen so wichtig. Erst durch den ständigen Austausch und das gemeinsame Arbeiten gelingt es, eine Innovation auch in den Markt zu bringen. Wissenstransfer ist keine Einbahnstraße. Dauerhafte Kooperationen, in denen Wissen und Erfahrung in beide Richtungen geteilt werden, stärken die Unter­nehmen und die Universitäten. Gemeinsam trägt man so zu wirtschaftlichem Erfolg bei.

Wir sind nicht so kostengetrieben wie Unter­nehmen. Wir dürfen und wir müssen in gemeinsamen Projekten auch Fragen stellen. Bringen wir neue Leute aus verschiedenen Wissensgebieten hinein, ergeben sich oft völlig neue Fragen, neue Ansätze oder es kommen auch neue Tools ins Spiel wie etwa aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. Das klappt vor allem dann gut, wenn Praxis und Theorie in dauerhafter Kooperation aufeinandertreffen. So können sich phantastische Symbiosen und Möglichkeiten entwickeln, wenn man es zulässt. Ein Beispiel. Beim Thema Energieeffizienz müssen wir viele Dinge hinterfragen und wir stellen leider oft genug fest, dass man schnell in den üblichen Denkmustern gefangen ist. Also muss man sich immer wieder disziplinieren, den Blickwinkel wechseln, fokussieren oder auch mal andere Disziplinen hinzuziehen. Auch das ist unser Tagesgeschäft hier. Ich halte das, was wir machen, für absolut essenziell und notwendig.

Praxis trifft auf Theorie schein demnach eine Art Katalysator zu sein für Innovationen. Haben Sie dafür ein paar Beispiel aus dem Umfeld der Uni Kassel?

Nehmen wir als Beispiel das Fachgebiet Gießereitechnik der Universität Kassel. Es zählt zu den führenden Forschungs- und Bildungseinrichtungen für Gießereitechnik international, dank sowohl grundlagenorientierten als auch industriell ausgerichteten Forschungsprojekten. Die dienen vor allem der zielgerichteten Entwicklung und Charakterisierung neuer Leichtbau-Werkstoffe und -Anwendungen auf Aluminium- und Magnesiumbasis sowie innovativer Technologien und Verfahren zu deren gießtechnischen Herstellung und Verarbeitung.

Prof. Dr.-Ing. Martin Fehlbier, Fachgebietsleiter der Gießereitechnik Kassel (GTK): Herzstück dieser Forschungsarbeiten ist unser Technikum Metakushalle in der Nachbarschaft des VW-Werkes Baunatal. Dort schauen wir uns alle Abläufe sehr genau an, hinterfragen sie und haben so zum Beispiel ein ganz neues Temperierkonzept für Guss-Werkzeuge entwickelt. Statt mit Wasser arbeiten wir nun mehr mit Wasserdampf beim Aufwärm- und Abkühlungsprozess im Metallguss. So konnten wir die Formstandzeiten deutlich erhöhen und benötigen dennoch deutlich weniger Energie. Bei unserem Nachbarn VW ist das Konzept schon in der Vorserienerprobung.

Wir sind stark im Ultraleichtbau für Aluminium-Strukturteile und erforschen auch Magnesium-Strukturteile. Hier sind wir dabei, das Gießen so zu modifizieren, dass wir den dünnwandigen Leichtbau zu einem Ultra-Leichtbau weiterentwickeln. Dazu bedarf es einer Anpassung des Fertigungsprozesses und auch einer speziellen Anpassung des Werkstoffes, aber wir können bislang typische Wandstärken bei Leichtgussteilen etwa von rund 345 Millimeter auf bis zu 0,5 Millimeter reduzieren. Das ist eine Größenordnung, die bisher als unerreichbar galt. Und das ist sehr interessant für neue Anwendungen.

Und das dritte Beispiel kommt aus der Heißkanaltechnologie. Bei Strukturbauteilen aus Kunststoffen fällt in der Regel nach dem Abkühlen mehr als die Hälfte des Materials als sogenanntes Anschnittmaterial an, das dann zum Recycling zurück in den Wertstoffkreislauf geht. Bei immer größer werdenden Strukturteilen ist das enorm viel Material, das sich nicht wertschöpfend im Bauteil befindet. Und man braucht viel Energie zum Aufwärmen und Abkühlen der Werkzeuge. Mit dem neuen Verfahren halten wir den Kunststoff heiß und spritzen direkt in die Form, so dass gleich das nächste Teil gespritzt werden kann. Durch die gleichbleibende Temperatur spart man sehr viel Energie und es fällt bis zu 70 % weniger Anschnittmaterial fürs Recycling an. Hier arbeiten wir zum Beispiel schon mit Bosch zusammen. Für Unter­nehmen der Zulieferindustrie haben wir viele spannende Themen, gerade rund um die Mobilität. Etwa wenn es um sehr gute mechanische Eigenschaften geht und es auf sehr enge Toleranzen ankommt. Wenn es um den Leichtbau geht, um Steuer-Gehäuse, die Wärme abführen können oder um extrem dünnwandige Bauteile. All das können wir gut kombinieren und dann auch umsetzen.

Offensichtlich hat die Universität Kassel also viel von einem „Technologie-Optimierer“, der eng mit Unter­nehmen kooperiert. Verstehen Sie sich denn auch als Unternehmer-Universität?

Dr. Fromm: Ich bin sehr froh, dass wir im Zuge der Hochschulautonomie seit 2000 selbst entscheiden können, welche Strategien wir entwickeln und wie wir unsere Gelder verwenden, welche Bereiche wir aufbauen oder fördern und wo wir Schwerpunkte setzen. Wir betreiben empirische Bildungsforschung und arbeiten an der Energieversorgung der Zukunft. Wir haben hier die hellste Labor-Röntgenquelle der Welt installiert und arbeiten an Textilien aus Holz. Etwa die Hälfte der Universität ist technisch ausgerichtet. Aber wir bieten letztlich alle Fächer mit Ausnahmen von  Jura - wohl aber Wirtschaftsrecht - und Medizin. Aus dieser Breite und Ausprägung der Themen schöpfen wir unserer Stärke - Interdisziplinarität ist tief in unserer DNA verankert.

Wenn sich neue Optionen eröffnen, wird geprüft, ob das zu uns passt und dann in Abwägung von Chancen und Risiken entschieden, ob wir das machen. Wir sind kein Unter­nehmen, aber Universitäten handeln im Rahmen ihrer Autonomie unternehmerisch im weiteren Sinne.

So trat vor gut 10 Jahren ein Konsortium von Unter­nehmen an uns heran, für das die Gießereitechnik relevant ist. Sie fragten uns, ob wir gemeinsam ein entsprechendes Fachgebiet aufbauen könnten. Wir haben schnell erkannt, dass das in der deutschen Hochschullandschaft eine Nische ist und unternehmerisch ganz klar entschieden: Da gehen wir rein. Heraus kam dieses Zentrum für Gussleichtbau und Konstruktion und Vieles von dem, was hier an wissenschaftlicher Infrastruktur steht, ist von der Industrie finanziert. Um gemeinschaftlich solche Projekte entwickeln zu können, muss man sich, glaube ich, gut kennen. Denn es gehört auch eine Menge Vertrauen dazu, weil wir nicht für jeden Handgriff, den man miteinander macht, eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichnen können. Und dieser gemeinsame Mehrwert lässt sich letztlich nur über eine kontinuierliche, dauerhafte Zusammenarbeit erzielen und nicht, wenn man nur in Einzelprojekten denkt. Aktuell haben wir allein im Gießereibereich ein Fördernetzwerk von um die 30 Unter­nehmen. Sie erhalten hier im vorwettbewerblichen Stadium Zugang zu praxisorientierter Forschung. Wir machen Vorschläge, wo wir Schwerpunkte setzen könnten, und die Industrie wirkt mit. Und das funktioniert gut, obwohl hier zum Teil sogar Wettbewerber zusammenkommen. Aber alle wissen eben, wie man sich benimmt und wie weit man gehen kann.

Gibt es an der Uni Kassel auch eine Gründer-Mentalität?“

Dr. Fromm: Selbstverständlich. Das ist die andere unternehmerische Dimension. Wir haben schon lange eine sehr aktive Gründungsförderung an der Universität Kassel. In unserer zentralen Transferorganisation UniKasselTransfer war dies schon immer ein Aufgabenschwerpunkt. 2015 haben wir mit der Stadt Kassel den Science Park auf dem Campus errichtet, als zentralen Ort für wissensbasierte Unter­nehmensgründungen. Wir wollten damit auch eine Art Symbol schaffen für den Wissenstransfer in die Anwendung und das habe ich mit aufgebaut. Heute nutzen den Science Park immer zwischen 40 und 50 Start-Ups aus der Uni oder mit starkem Uni-Bezug. Sie werden von uns begleitet von der allerersten Idee. Es ist ganz wichtig, Ideen in der Uni aufzusammeln und Studierende und Forschende zu motivieren und sie zu ertüchtigen, ihre Ideen auch zu verfolgen. Wir geben ihnen eine Bühne, damit sie Finanziers, potenzielle Partner und Kunden kennenlernen, veranstalten Wettbewerbe und vieles mehr.  Aber dann muss Schluss sein, denn die Entwicklung des Geschäftsmodells ist die klare Aufgabe eines Unternehmers oder einer Unternehmerin und nicht Aufgabe der Universität. Deshalb ist die Begleitung der Gründer am Anfang sehr intensiv und dann zieht sich die Universität zurück. Letztlich muss allen Gründern klar sein: Sie sind eigenständig unterwegs und müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Und das tun viele recht erfolgreich. So wie etwa – ganz aktuell - die Firma Revolute. Beim Fahrradfahren ärgerten sich die Gründer, weil es am Berg so mühsam war, und die beiden entwickelten kurzerhand ein neues Getriebekonzept für Fahrräder und Pedelecs. Das ist halb so teuer und halb so schwer wie die gängigen Antriebe und wird inzwischen bereits produziert. 10 Mitarbeiter hat das Unter­nehmen schon und der einzigartige Getriebemechanismus wird in abgewandelter Form auch in Autos verbaut. Übrigens waren einige unserer ehemaligen Start-Ups auch schon unter den Finalisten und sogar unter den Siegern des Innovationswettbewerbs Hessen Champions.

Wo sehen Sie Technologieführerschaften der Uni Kassel, die für die hessische Industrie wichtig sind?

Dr. Fromm: Wir haben für die Universität Kassel zwei Forschungsfelder definiert, in denen wir ganz besondere Schwerpunkte setzen. Das sind zum einen Multifunktionale Materialien – die Gießereitechnik, über wir gesprochen haben, ist hier ein Beispiel, aber die Bandbreite reicht von leitfähigen Kunststoffen über Metall-3D-Druck bis zur Nanotechnologie. Insbesondere die Bereiche Maschinenbau, Elektrotechnik und Bauingenieurwesen, die bei uns traditionell sehr stark sind, bringen sich hier ein, aber auch Disziplinen wir Architektur oder Physik.

Der andere Schwerpunkt ist Nachhaltigkeit. Das hat an unserer Universität eine lange Tradition über alle Disziplinen und ist gerade für die Industrie über die Jahrzehnte immer interessanter geworden. Denken Sie an nur an die Entwicklung von ressourcenschonendem Beton oder Grundlagenforschung zur biologischen Produktion von Wasserstoff. Eine herausragende Story ist die Firma SMA, die aus der Elektrotechnik der Universität hervorgegangen und im Bereich Solarenergie-Technik erfolgreich ist.

Welche Wettbewerbsvorsprünge halten Sie für wichtig und auch schon für machbar?

Prof. Dr.-Ing. Martin Fehlbier: Der Leichtbausektor bietet ein ungeheures Potenzial, das viele leider noch wenig auf dem Schirm haben. Carbon wird immer der Spezialwerkstoff bleiben und nicht in die Massenproduktion kommen, da man das Material kaum wiederverwerten kann. Recyclingfähigkeit spielt aber eine immer größere Rolle. Und da kann die Gießereitechnik in der Kombination mit der Werkstofftechnik einfach punkten. Elon Musk hat mit Tesla sehr innovativ Dinge neu gestaltet und in vielerlei Hinsicht im Prinzip eine Revolution ausgelöst. Auch in der Gießereitechnik. Er gießt halbe Auto-Karosserien noch in „Spielzeug-Gießzellen“. Er tauscht 70 Teile gegen ein einziges aus. Technologisch sind wir Deutsche sicher besser, aber wir tun uns schwer, solche Schritte zu gehen. Wir sollten uns manches wirklich bei Elon Musk abschauen. Wenn wir uns endlich auch mehr trauen würden, wären wir sicher genauso gut, vielleicht sogar noch besser.

Warum haben Sie die Kooperationsvereinbarung mit HESSEN­METALL unterzeichnet?

Dr. Fromm: Unter­nehmen suchen den direkten Weg zu den Fachbereichen. In der Regel finden sie die passenden Partner auch, aber es gibt immer noch Potenzial, nicht zuletzt, weil durch Neuberufungen stets neue Professor*innen hinzukommen. Mit Hessenmetall verbindet uns eine langjährige, auch auf der persönlichen Ebene vertrauensvolle Zusammenarbeit. Hessenmetall unterstützt uns, Angebote der Universität aus Forschung und Lehre in die Unter­nehmen zu tragen. Der enge Draht, den Hessenmetall zu den Mitgliedsunternehmen hat, ist dabei sehr unterstützend. Mit der Kooperationsvereinbarung haben wir uns vorgenommen, die technologischen Partnerschaften noch intensiver zu entwickeln.  Die ersten Pitchings, die wir vor Corona hatten, waren sehr produktiv und wir werden dies jetzt fortführen.

Zur Person:
Dr. Oliver Fromm

Dr. Oliver Fromm ist Jahrgang 1964 und studierter Volkswirt. 1997 promovierte er an der Universität Marburg in Volkswirtschaftslehre. Nach verschiedenen Stationen in Wissenschaft und Wissenschaftsmanagement wechselte er 2003 zur Universität Kassel, um die zentrale Einrichtung UniKasselTransfer aufzubauen. Seit 2005 war er zudem Geschäftsführer der UNIKIMS GmbH Management School und seit 2009 war er als Geschäftsführer verantwortlich für den Bau des Science Park Kassel. Seit 2015 ist er Kanzler der Universität Kassel. 2021 wurde er für weitere sechs Jahr in diesem Amt bestätigt.

Prof. Dr.-Ing. Martin Fehlbier

Prof. Dr.-Ing. Martin Fehlbier studierte und promovierte an der RWTH Achen in der Fachrichtung Gießereitechnik. Nach mehreren Jahren in der Industrie war er zuletzt bei VW in Kassel Leiter des Technologiezentrum Gussentwicklung und Al-Mg-Strukturteilefertigung. 2012 wurde er auf die neue Professur für Gießereitechnik an die Universität Kassel berufen und leitet seitdem das Fachgebiet für Gießereitechnik (GTK).

Die Universität Kassel

Die Universität Kassel ist mit aktuell rund 23.000 Studierenden und über 3000 Beschäftigten seit 1971 Motor der Region Nordhessen. Schwerpunktthemen der wissenschaftlichen Arbeit sind Umwelt-, Klima- und Energieforschung, Informationstechnik-Gestaltung, Nanostrukturwissenschaften und Bildungsforschung. Über 60 Fachgebiete mit Umweltschwerpunkt verleihen der Hochschule ein unverkennbares Profil. Noch in diesem Jahr soll das Institute for Sustainability eröffnet werden, ein in Deutschland einzigartiges wissenschaftliches Zentrum, das zu Nachhaltiger Entwicklung und Transformation forschen und lehren wird. Die Uni Kassel ist mit unzähligen Partnern in der Region in Forschungskooperationen und über den Wissenstransfer verbunden.