Technologie plus Innovation – die intelligente Kombination macht’s!

Julia Reichert, Geschäftsführende Gesellschafterin der ROEMHELD Gruppe, Laubach

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Vorab das verschriftliche aktiv-Interview zum HESSENFORUM am 11. Mai:

„Leider wird der Mensch bequem, wenn alles läuft. Man muss die Dinge immer wieder komplett hinterfragen und auch die Kunden mit der Nase draufstoßen, an gravierenden Veränderungen intensiver zu arbeiten.  Man darf nicht dem hinterhertrauern, was man jetzt etwa bei der klassischen Automobilindustrie verliert, sondern man sollte den Mut haben, neue Wege zu gehen. Das kann nach unserer Erfahrung bei ROEMHELD ganz wunderbar sein.“Julia Reichert,
Geschäftsführende Gesellschafterin der ROEMHELD Gruppe, Laubach

Technologie plus Innovation – die intelligente Kombination macht’s!  Als Enabler verhelfen wir unseren Kunden zu effizienten Fertigungsprozessen


Frau Reichert, Das HESSENFORUM steht unter dem Motto „Neue Geschäftsmodelle, Technologien, Arbeitsorganisationen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit.“ Welche dieser Elemente sind aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für die Bewältigung der Herausforderungen?

Man kann diese Elemente nicht losgelöst voneinander betrachten. Sie sind insgesamt wichtige Schlüssel, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Und dafür ist es allerhöchste Zeit. ROEMHELD zählt zu den führenden Experten weltweit für effiziente Lösungen in der Produktion. Wir stellen Elemente und Systeme für die Fertigungs-, Montage-, Spann- und Antriebstechnik her und verhelfen unseren Kunden so zu effizienten Fertigungsprozessen. Unsere Produkte haben wir in der Vergangenheit wirklich gut verkauft. Aber leider wird der Mensch bequem, wenn alles läuft. Wir waren ohne Zweifel sehr rührig und fleißig. Wir sind sehr gut darin, uns in kleinen Schritten zu verbessern. Aber manchmal macht man die schmerzliche Erfahrung, dass die inkrementelle Optimierung nicht ausreicht und große Schritte gefragt sind. Man muss die Dinge immer wieder komplett hinterfragen und auch die Kunden vielleicht mit der Nase draufstoßen, dass es Zeit ist, auch an gravierenden Veränderungen intensiver zu arbeiten.

Wann haben Sie bei ROEMHELD erkannt, dass sich etwas gravierend ändern muss?

Dass wir mehr tun müssen zum Beispiel im Hinblick auf den Klimawandel, steigende Energiekosten, Digitalisierung und die Transformation wussten wir schon vor 5 oder 6 Jahren. Die Corona-Pandemie hat uns dann schmerzlich gezeigt, wie krisenanfällig wir sind und wo unsere Baustellen liegen. Corona hat auch bei uns die Digitalisierung enorm beschleunigt und wir erlebten, wie risikobehaftet unser Liefersystem ist. Flexibilität bekam eine neue Dimension. Die Themen waren ja nicht neu, aber sie rutschten auf der Prioritätenliste mit einem Schlag nach oben, weil sie überlebensnotwendig wurden. Leider stellten wir auch fest, dass digitale Arbeitsweisen Menschen entkoppeln. Man verliert Geschwindigkeit in der Abstimmung, wenn man sich nur virtuell begegnet. Und es ist so viel schwieriger, auf das Persönliche von Mitarbeitern, Kollegen und auch bei Kunden einzugehen.

Wie haben Sie auf all das reagiert? Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?

Wir versuchen, im Sinne des unternehmerischen Erfolgs alles noch mehr ganzheitlich zu betrachten und danach zu entscheiden. Digitalisierung und digitale Arbeitsweisen können nur ein Element sein, damit wir flexibel unsere Arbeitsumgebung gestalten können. Und wir haben gelernt: Auch wenn es gut läuft muss man Dinge immer wieder infrage stellen. Wir als Gruppe leben davon, dass wir Wissen und Daten digital immer abrufbar haben. Aber die Möglichkeiten gehen inzwischen weit darüber hinaus. Also denken wir auch über komplett neue Geschäftsmodelle nach, weil wir unseren Vorsprung behalten wollen und arbeiten daran, uns und unsere Kunden mehr anzutreiben. Viele kennen uns nur als Lieferant fertiger oder modifizierter Produkte. Wir haben inzwischen über 30.000 Katalogartikel, die man in der industriellen Produktion braucht – von Teilen im Bereich Spanntechnik für die Fertigungstechnik oder hydraulischen Elementen bis hin zu Komponenten und Systemen der Montage- und Antriebstechnik. Vieles davon wird elektronisch bestellt und geliefert. Aber wir sind auf die Entwicklung und Herstellung von kundenspezifischen Lösungen spezialisiert und gelten international als einer der Markt- und Qualitätsführer.

Die Digitalisierung eröffnet uns nun weitere, ganz neue Möglichkeiten. Aber unsere Lösungen verkauft man am besten im direkten Gespräch. Die besten Ideen kommen vor Ort, egal ob es um die effiziente Produktion und gleichbleibende Qualität von Zahnimplantaten geht oder um Bauteile für Windkraftanlagen oder was auch immer. Es geht nicht mehr allein darum, die richtige Spanntechnik für die Zerspanung eines Bauteiles zu liefern. Eine integrierte Sensorik kann dem Kunden auch hier wertvolle Erkenntnisse liefern.

Wie digital ist Ihr Unter­nehmen heute? Welche digitalen Technologien wenden Sie an?

Um Daten zu generieren und auszuwerten nutzen wir intern schon lange die Möglichkeiten von Sensorik und Digitalisierung. In unserer Gießerei, der Keimzelle von ROEMHELD, nutzen wir die 3D-Technik, um Sonderformen zu drucken. So können wir viel schneller und effizienter Gussteile erzeugen zum Beispiel für den Prototypenbau. Wir testen VR-Brillen für den Einsatz im Service, da viele unserer Anlagen auch in entfernten Ländern im Einsatz sind. Wir nutzen das Verfahren „digitaler Zwilling“, um in einzelnen Generationen unserer Maschinen per Simulation herauszufinden, ob die Produktion neuer Teile auch reibungslos funktioniert. Übrigens arbeiten wir auch an einer Simulationssoftware für unsere Kunden, die – noch bevor eine Anlage überhaupt läuft -, testet, ob die gewählte Vorrichtung überhaupt das vom Kunden gewünschte Ergebnis liefert. Dank automatisierter Bestellvorgänge können wir den „Verbrauch“ unserer Produkte feststellen und damit den künftigen Bedarf hochrechnen. So lässt sich mit unseren Lieferanten ganz anders über Preise verhandeln. Für all das nutzen wir übrigens auch die Expertise von unabhängigen IT-Spezialisten und wir kooperieren eng mit etlichen Hochschulen. Wir haben da ein tolles Netzwerk, das wir als Bereicherung erleben.

Eine meiner Wunschvorstellungen ist es, eine KI für unser Energiemanagement zu nutzen um Ressourcen zu schonen, Geld zu sparen und auch um unabhängiger zu werden. Und damit sind wir schon wieder beim anfangs angesprochenen Schmerz, der aufrüttelt und Dinge beschleunigt. Das Thema Energiemanagement hat durch Putins Krieg eine ganz neue Bedeutung erhalten und ist auf unserer Prioritätenliste nach oben gerutscht.

Was können wir von Ihnen lernen, wenn es um den Umgang mit Ihren Mitarbeitern geht? Was tun Sie, damit alle gemeinsam den Strukturwandel bewältigen?

Wir spielen nicht mit Risiko und nehmen unsere Aufgabe sehr ernst. Natürlich durchläuft unsere Unter­nehmensgruppe auch Zeiten, in denen wir Bereiche nicht mehr weiterführen können. Das ist hoch bedauerlich. Für die Menschen, von denen wir uns dann trennen müssen, versuchen wir immer eine faire Lösung zu finden. Unser Versprechen ist, permanent hart an unserer Zukunftsfähigkeit zu arbeiten. Wir agieren mit Weitsicht, um auch die Existenz der Gruppe nicht zu gefährden. Alles, was wir tun, wird auch kommuniziert. Der Strukturwandel zeigt, dass nicht mehr alle Geschäftszweige so dynamisch wachsen, wie wir das gedacht haben. Also legen wir alles rein, um neue Märkte zu finden. Wir lassen uns als Geschäftsführung, auch als Gesellschafter von intern und extern reflektieren. Gerade für die Transformation ist es wichtig, dass wir uns selbst hinterfragen. Ich glaube, wir waren noch nie so fokussiert, wie wir das heute sind. Vielleicht aber auch, weil die Zeit, in der wir uns heute befinden, noch nie so viele Dinge auf einmal mit sich gebracht hat.

Auch bei uns ändert sich die Arbeitsorganisation. Ob der Begriff New Work für uns so passend ist, weiß ich nicht. Unsere Motivation in anderen Arbeitsorganisationen zu denken, kam von ganz woanders her. Uns treibt die Frage: Wie attraktiv sind wir als Arbeitgeber, um guten Nachwuchs zu finden. Schlussendlich geht es doch darum, Mitarbeitern zu zeigen, dass sie bei uns die für sie geeignete Arbeitsform finden. Manche wollen klare Vorgaben und gehen nach der Arbeit zufrieden nach Hause. Aber immer mehr wollen sich weiterentwickeln, weiterbilden und ihre Arbeit selbst organisieren. Damit gehen auch andere Gehaltsvorstellungen einher. Das alles unterzubringen ist auch eine Herausforderung. Seit gut einem Jahr organisieren sich jetzt einzelne Teams bei uns selbst und wir wollen auch Shared Leadership ausprobieren. Ich weiß noch nicht, ob es funktioniert. Aber wir probieren es aus und schauen, wie wir andere Modelle bei uns etablieren können. Wir lösen gerade das klassische Bild auf und lassen Mitarbeiter bei der Arbeitsorganisation Ideen entwickeln. Die Kollegen oder auch ein neues Gremium stimmen dann darüber ab und es wird ausprobiert. Natürlich ist das ungewohnt, manchmal kostet es auch mehr Zeit und wir brauchten dafür Mut. Manchmal muss man neugierig sein und mal gucken was kommt. So werden wir Lösungen finden, dass sich auch die Kollegen in der Schichtarbeit freier bewegen können. Es ist noch sehr experimentell, steigert aber unsere Attraktivität. Denn gerade für junge Menschen ist der Arbeitgeber am attraktivsten, der ihnen möglichst flexibel ermöglicht ihre (freie) Zeit zu gestalten – und das über die schon vielen tollen Flexi-Möglichkeiten hinaus.

Was haben Sie aus Ihrer über 300-jährigen Geschichte gelernt?

Zum Beispiel, dass man den Mut haben muss, in bestimmten Zeiten den Hebel umzulegen und nach Neuem zu schauen. Daraus ergeben sich dann neue Ideen, neue Verfahren, neue Methoden und idealerweise auch neue Produkte. Das kann dann manchmal aber auch bedeuten, dass man sogar Geschäftsbeziehungen aufkündigen muss, weil bestimmte Produkte gar nicht mehr oder nicht mehr rentabel hergestellt werden können. Auch das ist dann in Ordnung, wenn es dem großen Ganzen dient. Wir kommen von der Gießerei Friedrichshütte und Eisenwerk, die sich beim Neustart nach dem zweiten Weltkrieg zu einer Maschinenfabrik weiterentwickelte. Wir haben passende Unter­nehmen dazugekauft und inzwischen bilden effiziente Spanntechnik-Lösungen für Werkstücke sowie für Werkzeuge in der Umformtechnik und Kunststoffverarbeitung den Kern unseres stetig wachsenden Portfolios.

Jetzt ist es spannend zu sehen, wie uns die Digitalisierung weiter verändern wird. 1984 haben wir bei uns bereits CAD eingeführt - als eines der ersten deutschen Unter­nehmen. Heute fertigen wir Komponenten für die Automation von Rüstvorgängen und die Maschinenkommunikation im Rahmen von Industrie 4.0. Neben und mit unserer Entwicklungsabteilung kooperieren wir mit IT-Unter­nehmen zum Beispiel im Bereich künstliche Intelligenz. Zu unseren Spezialitäten gehören Komponenten sowie Lösungen der Montage- und Handhabungstechnik, die wir mit Intelligenz versehen können. Wir stellen häufig fest, dass sich in den Montagebereichen unserer Kunden Mitarbeiter immer noch regelrecht verbiegen, um etwa eine Schraube festzudrehen. Montagefreundliche, ergonomische und passgenaue Vorrichtungen von uns können die Arbeit erleichtern, steigern die Effizienz und schützen die Gesundheit - dank Memoryfunktionen stellt sich die Vorrichtung sogar automatisch für den Mitarbeiter ein, der sich gerade übers System einloggt. Man darf nicht dem hinterhertrauern, was man jetzt etwa bei der klassischen Automobilindustrie verliert, sondern man sollte den Mut haben, neue Wege zu gehen. Das kann ganz wunder bar sein.

Wie hoch ist der Anteil der Automobilindustrie bei Ihnen?

Hoch. Bestimmt die Hälfte hängt direkt oder auch indirekt über die Zulieferer an der Automobilindustrie und damit zu einem großen Teil am Verbrennungsmotor. Aber auch in Zukunft ist das, was die Autoindustrie benötigt, reichlich. Man muss das Potenzial jetzt für sich entdecken und die richtigen Ansätze dafür finden. Egal welcher Antrieb: Es müssen ja trotzdem die verschiedensten Bauteile gefertigt werden – warum nicht mit Unterstützung unserer Lösungen Abgesehen davon wird der Verbrenner nicht so schnell verschwinden können, wie das manche hoffen. Allein Amerika ist ein unglaublich großes Land mit unendlichen Weiten. Da wird man den Verbrenner noch lange brauchen, um von A nach B zu kommen. Vielleicht werden die ja irgendwann mit alternativen Brennstoffen befüllt. Auch das Elektroauto ist hochspannend, weil wir den kompletten Kreislauf zum Beispiel von der Batterie-Erzeugung, Montage-Demontage, Recycling noch gar nicht richtig betrachtet haben. Da fangen wir – und da meine ich die Wirtschaft insgesamt - überhaupt erst an, Geschäftsmodelle zu erzeugen. Es gibt so viele Märkte in der Zukunft mit ungeheurem Potenzial. Und jetzt müssen wir eben die richtigen Prozesse durchlaufen, um sie zu erobern.

Sie leiten gemeinsam mit Ihrem Bruder Philipp Ehrhardt Ihr Familienunternehmen in der 5. Generation. Wie prägt so ein Familienunternehmen? Was ist da anders?

Ein Familienunternehmen gehört zu einer Familie dazu, ist über Generationen immer da im Sinne von Freude und Dankbarkeit aber auch Verpflichtung und Verantwortung. Das haben wir beide als Kinder so erlebt und auch meine Kinder spüren das schon, spätestens, wenn auch ich den Spagat zwischen Familie und Beruf meistern muss. Allerdings ist die 6. Generation ROEMHELD aktuell vor allem daran interessiert, hier über die Flure zu rennen. Bevor ich 2013 ins Unter­nehmen kam, habe ich gut überlegt. Schließlich will man es nach über 300 Jahren Erfolgsgeschichte auch gut machen. Das ist die eigene Erwartungshaltung, aber auch die Erwartungshaltung aller anderen Beteiligten im Unter­nehmen. Manchmal drückt die Verantwortung schon sehr, gerade in der aktuellen Zeit. Es ist eine unfassbare Menge an Themen, die immer da sind und bearbeitet werden müssen. Das lässt mich nicht los, das lässt meinen Bruder nicht los und das lässt auch die Belegschaft nicht los. Es ist toll, die Verbundenheit der Mitarbeiter mit ROEMHELD zu erleben, die eben auch über Generationen hier am Fuße des Vogelsbergs entstanden ist. Auch das gibt uns beiden Energie und stärkt unsere Zuversicht, dass wir alle gemeinsam die Herausforderungen unserer Zeit gut meistern.
 

Zur Person:
Julia Reichert


Julia Reichert wurde 1980 in Gießen geboren. Sie studierte Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln und absolvierte ein Management- und Wirtschaftsstudium an der Zeppelin University Friedrichshafen. Berufserfahrung sammelte sie u.a. als Projektmanagerin bei Rolls Royce Deutschland ehe sie ins Familienunternehmen ROEMHELD einstieg. Seit 2016 ist sie Geschäftsführerin der ROEMHELD-Gruppe.

Zum Unter­nehmen

Die ROEMHELD Gruppe geht zurück auf die 1707 gegründete Gießerei Friedrichshütte in Laubach, die 1870 Julius Römheld pachtete, einer meiner Vorfahren. Inzwischen bildet ROEMHELD zusammen mit den Spanntechnik-Spezialisten HILMA und STARK eine Firmengruppe, die ein umfassendes Produktprogramm auf dem Gebiet der Spanntechnik für die Fertigungstechnik anbietet. Ergänzt wird das Produktprogramm durch zahlreiche hydraulische Elemente für den allgemeinen industriellen Einsatz sowie Komponenten und Systeme der Montage- und Antriebstechnik. Die Gruppe hat 470 Beschäftigte, davon 320 in Laubach.