Die Zukunft der industriellen Beschäftigung erfordert Anpassungsfähigkeit: Bereitschaft zum Wandel liegt Opel im Blut.

Ralph Wangemann, Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor Opel Automobile GmbH & Mitglied des Vorstands von HESSEN­METALL

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Vorab das verschriftliche aktiv-Interview zum HESSENFORUM am 11. Mai:

Interview zum HESSENFORUM 2022

Die Zukunft der industriellen Beschäftigung erfordert eine hohe Anpassungsfähigkeit: Die Bereitschaft zum Wandel liegt uns Opelanern wohl im Blut.
„Die Transformation kostet Arbeitsplätze, die am Verbrennungsmotor hängen, schafft aber auch neue in bestimmten Chancenfeldern. Deshalb arbeiten wir am Umbau und Aufbau von Arbeitsplätzen, die dazu passen, dass Autos immer mehr zu rollenden Computern werden. Dreh- und Angelpunkt ist unsere strategische Aus- und Weiterbildung, zu der auch eine eigene Software-Akademie gehört, die wir auf Konzernebene gerade aufbauen.“
Ralph Wangemann, Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor Opel Automobile GmbH

Zur Zukunft der industriellen Beschäftigung im Strukturwandel

Herr Wangemann, liegt die Zukunft der industriellen Beschäftigung im Strukturwandel?

Für mich ganz klar: Ja. Wir haben bei Opel bekanntermaßen bewegte Jahre hinter uns. Sie sind einher gegangen mit einem gewaltigen Strukturwandel. Unsere Strategie dabei: Wir setzen auf nachhaltige Mobilität. Opel wird elektrisch und profitabel. Trotz aller Widrigkeiten haben wir das geschafft. In den letzten vier Jahren war Opel wieder außerordentlich erfolgreich, nochmals gepusht seit der Fusion der Groupe PSA mit FCA zum globalen Automobilkonzern Stellantis Anfang 2021. Heute haben wir bereits zwölf elektrifizierte Opel-Modelle auf dem Markt. Wir haben unseren Marktanteil im wichtigen deutschen Heimatmarkt im vergangenen Jahr deutlich gesteigert, waren der große Gewinner unter den Volumenmarken. Der Opel Corsa ist die vergangenen zwei Jahre der meistverkaufte Kleinwagen in Deutschland und das meistverkaufte Auto überhaupt in Großbritannien gewesen. Und mindestens jeder vierte neu zugelassene Corsa fährt bundesweit inzwischen elektrisch. Das gilt übrigens auch für den Mokka. Dieser Trend setzt sich in 2022 fort und das zeigt ganz klar: Unsere Modelle kommen bei den Kunden hervorragend an.

Was macht Opel momentan so erfolgreich? Welche Rolle spielen innovative Geschäftsmodelle, Technologieführerschaft oder auch Arbeitsorganisation und Kultur?

Um erfolgreich zu sein, müssen sie diese ganze Bandbreite abdecken. Das heißt: Sie brauchen gute Technologie und innovative Geschäftsmodelle. Sie brauchen eine gute Arbeitsorganisation und Unter­nehmenskultur. Denn nur wenn die Belegschaft mitzieht, sich engagiert und mit neuen Ideen einbringt, können sie etwas bewegen. Aber vor allem müssen sie technologisch ganz vorne dabei sein. Wir stehen auch in Sachen E-Mobilität   sehr gut da. 2024 werden wir mindestens eine elektrifizierte Variante von ausnahmslos jeder Baureihe anbieten. Darüber hinaus streben wir an, die Gesamtbetriebskosten für Elektrofahrzeuge bis 2026 denen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor anzugleichen. Und bis 2028 wollen wir in Europa nur noch Elektrofahrzeuge anbieten. Darauf konzentrieren wir uns und danach richten wir uns aus.

Und wir haben bereits das nächste Kapitel in unserer Offensive für nachhaltige Mobilität aufgeschlagen: Im Dezember letzten Jahres wurde der erste Opel Vivaro-e HYDROGEN ausgeliefert. Dieser erste emissionsfreie Wasserstoff-Transporter eines Fahrzeugherstellers wird in Rüsselsheim produziert. HYDROGEN No. 1 wird nun vom Hausgerätehersteller Miele im Rhein-Main-Gebiet im täglichen Außendienst eingesetzt. Gerade bei leichten Nutzfahrzeugen wird die Wasserstoff-Brennstoffzelle als Stromquelle für den Elektroantrieb immer mehr an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus läuft hier an unserem Stammsitz in Rüsselsheim der neue Astra vom Band –als Limousine, Kombi, mit effizienten Benzinern, Dieseln, als Plug-in-Hybrid und schon im nächsten Jahr als batterie-elektrischer Astra-e. Das volle Programm! Der neue Astra wurde natürlich auch in Rüsselsheim designt und entwickelt und wird der Marke weiteren Schub verleihen, weil er Innovationen in die Kompaktklasse bringt, die Kunden bislang nur von höherpreisigen Fahrzeugen kannten. Dazu zählt unter anderem das Lichtsystem mit 168 LED-Elementen und im Innenraum das volldigitale Pure Panel, das so gar nichts mehr zu tun hat mit einem konventionellen Armaturenbrett. Es ist vielmehr eine neue Mensch-Maschine-Schnittstelle für ein intuitives Bedienerlebnis über einen extrabreiten Touchscreen. Ich fahre aktuell selbst einen Astra und bin von dem Auto schwer begeistert.

Wie Umfragen bei der Belegschaft zeigen, gefällt es den Menschen hier, bei der Entwicklung und der Schaffung solcher Produkte dabei zu sein und sehr viele sind von dem Wandel bei Opel begeistert.

Hilft es Opel, Teil des internationalen Automobilkonzerns Stellantis zu sein?

Absolut! Vieles greift in einem solchen Weltkonzern ineinander, jeder trägt seinen Teil zum Erfolg bei und man profitiert voneinander. Unterstützung bekommen wir auch durch das weltweite Stellantis-Forschungsnetzwerk mit renommierten Universitäten, über das wir wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen für die Technologiesysteme zukünftiger Fahrzeuggenerationen. Anfang 2022 haben wir mit der TU Darmstadt das erste OpenLab von Stellantis in Deutschland ins Leben gerufen, um gemeinsam an neuen Lichttechnologien zu forschen. Stellantis finanziert am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik (etit) zunächst für die kommenden vier Jahre drei Doktoranden.

Im Opel-Werk in Kaiserslautern wird gerade eine neue Batteriefabrik aufgebaut, in der ab 2025 Batteriezellen mit einer Kapazität von 40 Gigawattstunden für über 800.000 Autos jährlich produziert werden sollen. Es ist ein Joint Venture von Opel/Stellantis, TotalEnergies und Mercedes-Benz. Gefördert von der Bundesregierung sollen dafür von allen Partnern mehr als zwei Milliarden Euro investiert werden. Auch das ist ein wichtiger Teil der Transformation der Automobilindustrie und gehört zu dem Strukturwandel, von dem auch wir bei Opel letzten Endes profitieren. Aber wir müssen uns innerhalb des Konzerns natürlich immer behaupten und mit Leistung und Zahlen überzeugen. Die Wettbewerbsfähigkeit ist entscheidend. Auch deshalb war es so wichtig, dass wir uns neu aufgestellt haben. Dass wir jetzt hier in Rüsselsheim den Astra produzieren, stärkt den Standort. Wir alle empfinden das als Anerkennung unserer Leistung.

Laut einer Studie des IW Köln stehen allein in Hessen aktuell 23.000 Arbeitsplätze am Verbrennungsmotor, die auf Sicht verschwinden werden, etwa 9.000 Stellen gegenüber, die in den Chancenfeldern Elektrifizierung, Vernetzung und autonomes Fahren entstehen sollen.

 Wie verändert der Strukturwandel und die damit verbundene Gleichzeitigkeit von Schrumpfung und Wachstum die Formen der Zusammenarbeit bei Opel?

Die Schattenseite der Transformation ist ohne Zweifel der Abbau von Arbeitsplätzen, die am Verbrennungsmotor hängen. Im letzten Jahr waren das bei uns 2.100 Stellen. Unser Freiwilligen-Programm hat da sehr geholfen. Im Moment laufen noch bestimmte Altersteilzeit- und Vorruhestandsprogramme, die wir noch weiterführen. Als Unter­nehmen muss man sich zudem immer wieder unerwarteten Gegebenheiten anpassen. Das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt und es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die aktuelle geopolitische Situation noch haben wird.

Aber ganz unabhängig davon muss man an die Zukunft denken. Deshalb arbeiten wir auch am Umbau und Aufbau von Arbeitsplätzen, die dazu passen, dass Autos immer mehr zu rollenden Computern werden. Dreh- und Angelpunkt ist unsere strategische Aus- und Weiterbildung. Am Standort Kaiserslautern brauchen wir zum Beispiel Mitarbeiter, die Batteriezelle können. Also bieten wir den Beschäftigten dort, die bisher an Komponenten und Motoren arbeiten, eine passende Weiterbildung an. Insgesamt brauchen wir bei Opel viel mehr Menschen mit Software-Knowhow, weil wir hier in Rüsselsheim eine eigene Software-Einheit einrichten. Dafür stellen wir Software-Spezialisten neu ein, und wir motivieren unsere Opel-Ingenieure, die sich bisher überwiegend mit Verbrennungsmotoren beschäftigt haben, eine Weiterbildung zum Software Ingenieur zu beginnen.  Auf Konzernebene bauen wir dafür gerade eine eigene Software Akademie auf. Weiterqualifizierung ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil der Transformation, aber wir brauchen natürlich den Willen der gesamten Belegschaft, diese Transformation auch mitzugehen.

Und nicht zuletzt geht es auch um Veränderungen in der Ausbildung. Selbst in der Pandemie starteten allein bei uns in Rüsselsheim wie gewohnt 120 junge Leute ins jeweils neue Ausbildungsjahr. Aber die Ausbildungsberufe ändern sich Stück für Stück. Elektronik und Digitalisierung bekommen auch hier noch mehr Bedeutung. Wir bilden zum Beispiel mehr Kraftfahrzeugmechatroniker aus als früher und bieten neue duale Studiengänge an: Seit 2021 Fahrzeugsystemtechnik und Elektromobilität an der DHBW Mannheim und Fahrzeugelektronik–Elektromobilität mit dem Schwerpunkt alternative Antriebe/Embedded IT ab 2022 an der DHBW Ravensburg. Und wir denken über weitere neue Studiengänge nach. Auch sie spiegeln die Transformation der Automobilindustrie wider.

Wie sichern Sie industrielle Beschäftigung am Heimatstandort und halten sie attraktiv gegen die internationale Werkekonkurrenz und gegen Asymmetrien in der Zeitsouveränität mit den Bürojobs?

Dass wir uns innerhalb des Konzerns gegen andere Werke behaupten können, haben wir hinlänglich gezeigt. Da fühlen wir uns eben durch den Strukturwandel bei Opel auch gut vorbereitet. Wettbewerbsfähigkeit und Effizienzsteigerungen sind wesentliche Faktoren, um industrielle Beschäftigung in Deutschland zu halten. Dafür brauchen wir ein extrem hohes Maß an Flexibilität. Die ist besonders gefragt, wenn Lieferengpässe gemanagt werden müssen, die hohen Energiekosten oder welche Krise auch immer. Und sie ist auch gefragt, wenn man im Sinne einer guten Sozialpartnerschaft mit Gewerkschaften oder mit dem Betriebsrat zu vernünftigen Lösungen kommen will.

Flexible Arbeitszeitmodelle sind ebenfalls ein wichtiges Kriterium, um wettbewerbsfähig zu bleiben und zufriedene Mitarbeiter zu haben. Sie sind ein wichtiges Instrument in der Produktion, nicht nur für die Schichtarbeit. Infolge der Corona-Pandemie haben sie noch mehr Bedeutung erhalten. Außerhalb der Produktion wurde – wo immer möglich – Homeoffice eingeführt. Ich gehe davon aus, dass sich das bei uns nach Aufhebung aller Corona-Maßnahmen bei 70:30, also 70% der Arbeitszeit im Homeoffice und 30% in Präsenz im Unter­nehmen einpendeln wird. Speziell Führungskräfte unterstützen wir mit Weiterbildungsangeboten, denn remote Work stellt sie vor ganz neue Herausforderungen.

Es wird viel diskutiert, ob das richtig ist, weil es eben auch viele Stellen gibt, die mit Homeoffice nicht vereinbar sind. Aber die meisten unserer Produktionsmitarbeiter haben gar kein Problem damit, wie uns Umfragen bei der Belegschaft zeigen. Nicht jeder will Zuhause arbeiten, sondern bevorzugt die klare Trennung. Menschen, die in der Produktion arbeiten, haben sich meist schon bei der Berufswahl bewusst für die Werkhalle und gegen acht Stunden Schreibtisch entschieden.  Gerade bei diesen Kollegen stelle ich dann einen ganz besonderen Stolz fest, weil der Astra hier jetzt dank ihrer Arbeit vom Band läuft.

Bei allem was wir tun, müssen wir die Menschen mitnehmen. Das gelingt – wie schon gesagt – mit überzeugenden Produkten – und indem man sie über die verschiedensten Kanäle, die heute zur Verfügung stehen, richtig informiert. Eine gute und intensive Kommunikation, insbesondere die interne Kommunikation, ist deshalb wichtiger denn je.
Und es versteht sich von selbst, dass zu all dem auch eine gute Sozialpartnerschaft gehört.

Für Außenstehende beeindruckend ist die Wandlungsfähigkeit, mit der sich Opel seit Jahrzehnten gegen Krisen wehrt. Hat Opel vielleicht auch aus früheren Fehlern gelernt?

Wandlungsfähigkeit ist wichtig, um schwierige Lebenssituationen zu überstehen. Und ja, das scheint Opel immer wieder zu gelingen. Betrachtet man unsere Geschichte, beeindruckt bis heute die enorme Anpassungsfähigkeit des Unter­nehmens. Die Bereitschaft zum Wandel liegt hier also wohl im Blut. Angefangen hat alles mit Nähmaschinen, dann kamen Fahrräder und schließlich das Automobil. 1928 war Opel dann der größte deutsche Fahrzeughersteller – damals natürlich mit Verbrennungsmotor. Und jetzt gehen wir in das Zeitalter der Elektromobilität. Immer war es ein Impuls von außen, der bei Opel die großen Veränderungen gebracht hat. Und immer wagte man sich auf Neuland, entwickelte Ideen, probierte aus und passte sich an. Zum Erfolgsrezept gehört sicher auch, bei all dem nie den Glauben an sich zu verlieren. Heute ist Opel ein nachhaltig profitables, erfolgreiches Unter­nehmen und ich bin sehr stolz darauf, dass ich seit nun fast 25 Jahren hier arbeite.

Zur Person:
Ralph Wangemann


Ralph Wangemann wurde 1970 in Bad Reichenhall geboren und studierte Rechtswissenschaften an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Seit Januar 2019 ist er Geschäftsführer Human Resources und Arbeitsdirektor der Opel Automobile GmbH.
Seine Karriere bei Opel begann der Jurist 1998 als Personalreferent für den Vorstandsbereich Aftersales. Danach hatte er mehrere HR- und Labour Relations-Führungspositionen in Deutschland und Österreich inne und war zuletzt HR Director Deutschland und Director Labour Relations sowie Deputy Head HR Opel/Vauxhall.

Chef-Interview - Ralph Wangemann, Arbeitsdirektor von Opel Automobile, über den Wandel in der Auto-Industrie