6. VhU-Sozialforum „Brauchen wir eine doppelte Sozialausgabenbremse?“

1.000.000.000.000 Euro kostet Sozialstaat im Jahr // VhU diskutiert doppelte Sozialausgabenbremse mit Experten aus Praxis und Politik // Wirtschaft empfiehlt kombinierte Beitrags- und Ausgabenbremse

Frankfurt am Main. „Die hessische Wirtschaft empfiehlt eine doppelte Sozialausgabenbremse: eine Beitragsbremse, die den Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei maximal 40 Prozent der Löhne, plus eine Ausgabenbremse, die das Sozialbudget, die Summe der Sozialausgaben aus Beiträgen und Steuern, bei 30 Prozent der Wirtschaftsleistung deckelt.

Nur so kann sichergestellt werden, dass die im Berufsleben stehende Generation nicht mit untragbar hohen Beiträgen und Steuern belastet und nicht viele Arbeitsplätze gefährdet werden. Denn schon jetzt wird der Sozialstaat mit etwa einer Billion Euro im Jahr finanziert. Dies ist auch im internationalen Vergleich viel und kann nur nachhaltig sein, wenn eine starke Wirtschaft ihn trägt. Die Finanzierung des Sozialstaats darf die Bürger und Unter­nehmen als Steuer- und Beitragszahler nicht überlasten“, erklärte Dirk Pollert, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), auf dem 6. VhU-Sozialforum.

Dort diskutierten der Präsident des Bundessozialgerichts Prof. Dr. Rainer Schlegel, der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes Prof. Dr. Georg Cremer mit Patricia Lips (CDU), Mitglied im Bundestags-Haushaltsausschuss, was für einen generationengerechten Sozialstaat mit einer leistungsfähigen und nachhaltigen Sozialversicherung getan werden müsse. Kurzfristig verhindert war leider Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen und stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender.

Prof. Dr. Georg Cremer, Generalsekretär a. D. des Deutschen Caritasverbandes, plädierte dafür, die sozialstaatlichen Leistungen zu würdigen und keine Erwartungen zu wecken, die eine Realsozialpolitik enttäuschen müsse. Er sprach sich für Reformen aus, die Familien im Niedrigeinkommensbereich stärken. So wichtig es sei, dass die Belastungen für die wirtschaftlich aktive Generation auch in Zukunft zu schultern seien: Dies müsse im politischen Diskurs erreicht werden, eine Obergrenze in der Verfassung sei aus seiner Sicht nicht zweckdienlich.

Patricia Lips (CDU), Mitglied im Bundestags-Haushaltsausschuss, unterstrich, dass vor dem Verteilen das Erwirtschaften komme. „Nur, wenn wir die Sozialabgaben konstant unter 40 Prozent halten, sichern wir eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft als Basis für notwendige Sozialausgaben.“

Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts führte aus, dass eine ertragsstarke Wirtschaft ist das finanzielle Fundament sozialer Sicherung sei. „Denn jeder Euro, der für Soziales ausgegeben wird, muss zuvor über Steuern oder Beiträge aufgebracht werden. Nachhaltigkeit sozialer Sicherungssysteme setzt daher voraus, dass die weithin exportorientierte deutsche Wirtschaft auch künftig wettbewerbsfähig und ertragsstark bleibt. Dies setzt unter anderem  einen hohen Ausbildungsstand, Kreativität und Flexibilität auf Seiten der Arbeitgeber wie der Beschäftigten voraus. Das Vertrauen der Bevölkerung  in die Solidität der sozialen Sicherungssysteme  darf nicht dadurch aufs Spiel gesetzt werden, dass die bestehenden Systeme "schlechtgeredet" und sie mit ständig neuen oder höheren Leistungsansprüchen überfrachtet werden. Zudem müssen auch in den Systemen sozialer Sicherung Eigenverantwortung des Einzelnen und solidarisches Eintreten füreinander in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Im Bereich der Sozialversicherung sollte schon im Hinblick auf die demografische Entwicklung eine der Generationengerechtigkeit dienende Nachhaltigkeitsklausel im Grundgesetz verankert werden, denn gerade in diesem Bereich begründet der Gesetzgeber gigantische Leistungsansprüche, die von künftigen Generationen von Beitragszahlern erfüllt werden müssen. Die Bürger müssen das Gefühl haben, dass es bei sozialer Sicherung gerecht zugeht. Wer lange und hohe Beiträge zahlt, muss mit seiner Rente am Ende des Tages besser dastehen, als derjenige, der geringere oder gar keine Beiträge gezahlt hat. Dies kann durch Abstandsgebote und Freibeträge in Systemen der Grundsicherung bzw. Sozialhilfe, nicht aber durch eine rechtliche Vermischung beitragsfinanzierter mit bedürftigkeitsabhängigen der Systeme erreicht werden“, so der BSG-Präsident.

Die hessische Wirtschaft steht zum Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft, in dem die Unter­nehmen sich im Rahmen eines staatlichen Regelrahmens entfalten können und existentielle Risiken wie Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und finanzielle Bedürftigkeit abgesichert sind. „Grundlage für alle Sozialleistungen ist aber ein starker Arbeitsmarkt, denn der sorgt für Beitrags- und Steuereinnahmen. Damit Lohnzusatzkosten nicht Beschäftigung vernichten, muss der Gesamtsozialversicherungsbeitrag dauerhaft unter 40 % begrenzt werden. Was hierfür zu tun ist, hat die VhU in einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier beschrieben. Danach gibt es nicht nur auf Bundesebene Hausaufgaben wie eine Reform der Sozial­versicherungen, z.B. einem Stopp der abschlagfreien Frührente. Auch Landespolitik, Landesregierung, Schulen und Sozialverwaltung müssen ihren Beitrag für mehr Beschäftigung, bessere Bildung und ein effizientes und effektives Gesundheitssystem verstärken“, sagte Pollert.

Weitere Informationen:
VhU-Positionspapier „Gesamtsozialversicherungsbeitrag unter 40 % halten – Lasten des demographischen Wandels fair verteilen, Arbeitsplätze sichern“  zum Positionspapier

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Ansprechpartner
Stefan Hoehl

Dr. Stefan Hoehl
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik