STREITGESPRÄCH Unternehmerverband gegen Gewerkschaft: „Kurzarbeitergeld war entscheidend“

Gregory Dauber, Wirtschaftsredakteur bei der HNA in Kassel im Interview mit Jürgen Kümpel, Geschäftsführer der VhU in Nordhessen und Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen

Kassel. Gregory Dauber, Wirtschaftsredakteur bei der HNA in Kassel, führte mit Jürgen Kümpel, Geschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) in Nordhessen und Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen, ein Interview zu den Fragen "Wer zahlt die Kosten für die Krise?" und "Wie hat sich Deutschland im Umgang mit der Pandemie geschlagen?"

Streitgespräch VhU // DBG

Während manche Teile der Wirtschaft durch die Pandemie vollkommen eingeschränkt wurden, durften andere weitermachen. Wurden da Prioritäten richtig gesetzt?

Kümpel: Die Industrie konnte sich davon ein wenig absetzen, weil gute, funktionierende Maßnahmen getroffen worden sind: Es hab Hygienekonzepte, Produktionsabläufe wurden umgestellt und natürlich gibt es nicht den Kundenkontakt wie etwa bei Friseuren. In der Industrie konnten Infektionen in den meisten Fällen also besser vermieden werden, als in anderen Bereichen. In Produktionshallen gab es, bis auf ein Negativbeispiel, so gut wie keine Hotspots. Hinzu kam die Möglichkeit von Homeoffice, was ebenfalls in den stark eingeschränkten Wirtschaftszweigen nicht möglich war. Insofern war diese Differenzierung schon richtig.

Rudolph: Wenn man an die Pandemiebekämpfung denkt, hat Herr Kümpel recht: Die Prioritäten mussten so gesetzt werden. Oberstes Ziel war ja die Kontaktreduzierung, das ist in Bereichen mit Kundenverkehr einfach kaum umzusetzen. An der Stelle lohnt sich aber auch ein Blick auf die Beschäftigungsbedingungen: Dort war Betroffenheit doch sehr unterschiedlich. Menschen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlten, hatten durch das Kurzarbeitergeld einen starken Schutz. Insbesondere Minijobber oder befristet Beschäftigte standen aber oft sehr schnell ohne Einkommen da.

Der Staat hat in der Krise viele Instrumente eingesetzt – waren es auch die Richtigen?

Rudolph: Diese Mittel waren richtig und wichtig, die öffentliche Hand war handlungsfähig und hat in Verbindung mit den Sozial­versicherungen größere Verwerfungen, wie etwa auf dem US-Arbeitsmarkt, verhindert. Die Gewerkschaften haben die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erreicht. Auch die Zuschüsse für Betriebe waren richtig. Im Großen und Ganzen waren diese Mittel, trotz vereinzelter Probleme, allesamt gut.

Kümpel: Die Konjunkturpakete suchen ihresgleichen, auch wenn das Geld nicht immer optimal kanalisiert wurde. Ich sehe es wie Herr Rudolph, das Kurzarbeitergeld war entscheidend. Dadurch konnten viele Mitarbeiter in den Betrieben gehalten werden, das ist in Zeiten des Fachkräftemangels sehr wichtig. Mangelnde Abstimmung der politischen Ebenen hat allerdings zu Unsicherheiten und Überforderung bei Betrieben, die Hilfe brauchten, geführt. Das beste Hilfsmittel wäre schnellstmögliche Normalität.

Die verschiedenen Hilfen für Unter­nehmen waren teils sehr ungleich, aber waren sie auch ungerecht?

Kümpel: Nein, nicht ungerecht. Eben weil in vielen Bereichen Umsätze komplett weggebrochen sind, müssen wir froh sein, dass die Industrie am Laufen gehalten wurde. Denn letztlich wurden dort auch Steuereinnahmen generiert. Dieser Weg war richtig. Ob beispielsweise Dividenden ausgezahlt werden müssen, wenn gleichzeitig Kurzarbeitergeld fließt, waren Entscheidungen der Aktionäre, Gesellschafter und Aufsichtsräte.

Rudolph: Ich sehe vor allem ein großes Problem: Staatliche Hilfen hätten zwingend an Bedingungen geknüpft werden müssen: Kein Stellenabbau, betriebliche Mitbestimmung und Tariflöhne. Dividendenzahlungen bei gleichzeitiger Staatshilfe, während Mitarbeiter entlassen werden oder harte Gehaltseinbußen erfahren, sind überhaupt nicht in Ordnung.

Vor der Bundestagswahl stellt sich die Frage, wie die massive Neuverschuldung abgebaut werden kann. Wer kann überhaupt noch wie viel Mehrbelastung verkraften?

Rudolph: Wir haben einen riesigen Investitionsstau, der abgebaut werden muss. Das geht nur über eine Kreditfinanzierung und über höhere Steuereinnahmen. Dabei ist aber klar: Starke Schultern müssen eine größere Last tragen. Das Steuerkonzept des DGB sieht eine einkommensabhängige Vermögensteuer von einem bis zwei Prozent vor, das würde 27 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Auch über Betriebsvermögen in der Erbschaftssteuer müssen wir sprechen – denn viele Betriebe könnten ohne Hilfe vom Staat nach dieser Krise gar nicht mehr vererbt werden.

Kümpel: Ich sage: Schuldenbremse statt Schuldenberg. In der Pandemie waren diese Neuschulden notwendig, aber wir können den zukünftigen Generationen nicht so eine Belastung hinterlassen. Die Vermögenssteuer ist für mich ein Tabu – Gelder können und dürfen nicht doppelt versteuert werden. Außerdem verhindert so eine Steuer Investitionen, die wir aber für Wirtschaftswachstum brauchen. Das sollte oberstes Ziel sein, um den Schuldenberg abzubauen. Neue Steuern sind da kontraproduktiv.

Droht jungen Menschen nicht sowieso, zu den langfristigen Verlierern der Krise zu werden?

Kümpel: Ich sehe keinen Grund dafür. Den jungen Menschen wird auf dem Arbeitsmarkt doch gerade der rote Teppich ausgerollt. Wer einigermaßen ausgebildet ist, hat gute Chancen auf einen langfristigen Job und gute Verdienste. Diese Gruppe wird eher kurzfristig benachteiligt, etwa durch abschlagsfreie Frührenten der Älteren. Wir müssen wegkommen von den Vergünstigungen für Ältere und brauchen mehr private Altersvorsorge. Dazu zwingt uns auch der demografische Wandel.

Rudolph: Ich denke nicht, dass Investitionen von heute eine zu große Belastung für kommende Generationen sind. Sie sind vielmehr die Grundlage des künftigen Wohlstandes. Was die Jobchancen angeht, stimmt das mit dem roten Teppich nur bedingt: Viele Branchen tun wenig dafür, Ausbildung attraktiver zu machen und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Da braucht man sich über fehlende Fachkräfte dann auch nicht zu wundern. Junge und alte Generationen gegeneinander auszuspielen, wird uns nicht weiterbringen. Die gesetzliche Rentenversicherung muss gestärkt werden, das Rentenniveau darf keinesfalls weiter sinken.

Insbesondere Minijobber haben Ihre Stellen als Erste verloren. Brauchen sie mehr Absicherung?

Kümpel: Ich warne vor der Verteufelung von Minijobs, Befristungen und Teilzeit, wie es der DGB permanent tut. Das sind wichtige Einstiegsmöglichkeiten in die Berufswelt. Minijobber sind genauso Arbeitnehmer wie andere, haben auch einen Kündigungsschutz. Wer als Arbeitnehmer aber keine Sozialversicherungsbeiträge aufbringt, kann auch keine zusätzliche Absicherung erwarten. Die Mitarbeiter wissen doch, worauf sie sich einlassen.

Rudolph: Diese Argumentation greift viel zu kurz, zumal die Leute sich das in der Regel eben nicht aussuchen. Es gibt Branchen, etwa die Gastronomie, die traditionell auf diese Form der Beschäftigung setzen. Wir haben doch gerade gelernt: Die Sozialversicherung schützt. Deswegen sollten auch alle Arbeitnehmer dort einbezogen werden. Minijobs gehören abgeschafft, das sieht auch der „Rat der Arbeitswelt“ der Bundesregierung so.

Wie fällt Ihr Urteil beim Thema Homeoffice aus?

Kümpel: Wie in vielen anderen Bereichen warne ich vor zu viel Regulierung, das behindert den Arbeitsmarkt. Beim Homeoffice geht es nur mit doppelter Freiwilligkeit, also von beiden Seiten aus. Beide haben viel Flexibilität in den vergangenen Monaten bewiesen, lange vor der Homeoffice-Pflicht. Aber nicht alle wollen das. Wir brauchen nicht noch mehr Gesetze oder Verordnungen.

Rudolph: Herr Kümpel hat recht, dass viele wieder zum Arbeitsplatz wollen, das ist ja auch ein Ort sozialer Begegnungen. Die doppelte Freiwilligkeit läuft doch aber am Ende immer darauf hinaus, dass die Arbeitgeber entscheiden, wer darf und wer nicht. Es braucht Regulierung, um Augenhöhe in dieser Frage zu erreichen.  Der Arbeitsschutz muss auch im Homeoffice gelten, es darf nicht zu einer Entgrenzung von Arbeit kommen.

Das Interview führte Gregory Dauber (HNA).

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