VhU zur Situation schwerbehinderter Menschen am Arbeitsmarkt

Pollert: „Fast 120.000 schwerbehinderte Menschen in Arbeit / Ausgleichsabgabe um 45 Prozent senken, weil es viel weniger schwerbehinderte Arbeitslose als unbesetzte Pflichtarbeitsplätze gibt“

Frankfurt am Main. Zuletzt waren fast 120.000 Schwerbehinderte in Hessen in Beschäftigung, hiervon rund 80.000 bei privaten Arbeitgebern. Zu den rund 105.000 schwerbehinderten Beschäftigten bei Arbeitgebern mit mindestens 20 Beschäftigen kommen noch knapp 14.000 schwerbehinderte Beschäftigte bei kleineren Arbeitgebern. Von den rund 158.000 Arbeitslosen in Hessen sind rund 12.000 schwerbehindert. 

„Mit 4,6 Prozent hat kein anderes Bundesland eine höhere Schwerbehindertenquote bei den privaten Arbeitgebern als Hessen. Die hessische Wirtschaft beweist hiermit, dass sie behinderte Menschen als leistungsorientierte Arbeits- und Fachkräfte ernst nimmt. Trotzdem zahlten hessische Arbeitgeber im Jahr 2020 über 57 Millionen Euro Ausgleichsabgabe für rund 22.000 nicht besetzte Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen. Und das, obwohl es nur rund 12.000 schwerbehinderte Arbeitslose in Hessen gibt. Arbeitgeber müssen also vielfach Ausgleichsabgabe zahlen, obwohl sie keine Chance haben, für jeden Pflichtarbeitsplatz einen schwerbehinderten Bewerber zu finden. Diese ungerechte Regelung muss geändert werden“ erklärte Dirk Pollert, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e. V.

Pollert weiter: „Wo kein schwerbehinderter Bewerber vorhanden ist, kann er auch nicht im Betrieb beschäftigt werden. Wir fordern daher einen gesetzlichen Mechanismus, nach dem die Zahl der zu berücksichtigenden Pflichtarbeitsplätze begrenzt wird durch die Zahl der tatsächlich arbeitslosen Schwerbehinderten. Die im Betrieb für die Berechnung der Abgabe zu berücksichtigenden unbesetzten Pflichtarbeitsplätze müssen angemessen herabgesetzt werden, nämlich im Verhältnis der arbeitslosen Schwerbehinderten zu den unbesetzten Pflichtarbeitsplätzen im jeweiligen Bundesland - in Hessen also im Verhältnis 12 : 22. Nur durch eine solche Begrenzung haben alle Betriebe wenigstens die theoretische Möglichkeit, ihrer Beschäftigungspflicht vollständig nachzukommen. Mit einer solchen Deckelung würde die Ausgleichsabgabe derzeit um rund 45 Prozent sinken.“

„Kleine Unter­nehmen haben eine deutlich geringere Beschäftigungsquote als Großunternehmen. Entgegen einer weit verbreiteten Fehlannahme heißt das aber nicht, dass kleinere und mittlere Betriebe kein Interesse an der Beschäftigung von Schwerbehinderten hätten oder sich mit der Ausgleichsabgabe sogar ‚freikaufen‘. Ganz im Gegenteil: wegen des Fachkräftemangels sind viele Unter­nehmen froh um jeden qualifizierten Bewerber. Klar ist aber, dass kleinere Betriebe bei der Integration von Schwerbehinderten im Nachteil sind, weil Betriebsabläufe nicht so einfach angepasst und der finanzielle Spielraum geringer ist als bei Großunternehmen. Daher ist es auch naiv zu glauben, dass wir durch noch mehr Zwangsabgaben zu einer höheren Beschäftigungsquote kommen. Richtig ist: Mit besseren Unterstützungsmaßnahmen durch die Ämter könnten die Unter­nehmen noch mehr Schwerbehinderte beschäftigen“, ergänzt Pollert.

Pollert begrüßte hingegen die jüngsten Reformen im Schwerbehindertenrecht: „Mit dem Teilhabestärkungsgesetz kommen ab Januar 2022 endlich sog. einheitliche Ansprechstellen, die Arbeitgeber zur Schwerbehindertenbeschäftigung informieren, beraten und unterstützen sollen. Damit die Ansprechstellen ihre Funktion als Lotsen für Arbeitgeber aber auch erfüllen können, muss die Landesregierung sicherstellen, dass die Ansprechstellen über Wirtschaftskompetenz verfügen und einen kurzen Draht zu den Arbeitgebern vor Ort haben.“

Weiterführende Information: Statistik der Bundesagentur für Arbeit – Schwerbehinderte Menschen in Beschäftigung (Teilerhebung 2015; Veröffentlichung der nächsten Teilerhebung: April 2022) 

Zurück zur Übersicht
Ansprechpartner
Stefan Hoehl

Dr. Stefan Hoehl
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik