Nein zu Energie-Embargo

VhU-Präsident Mang: „Bundesregierung handelt besonnen. Verzicht auf russische Energie würde Versorgung in Deutschland ernsthaft gefährden.“

15.03.2022 4 Min. Lesezeit

Frankfurt am Main. Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände unterstützt die Haltung der Bundesregierung, zum jetzigen Zeitpunkt kein Embargo russischer Energielieferungen zu verhängen. „Die hessische Wirtschaft steht hinter der Entscheidung, die Versorgungssicherheit nicht durch einen kurzfristigen Lieferstopp zu gefährden. So sehr wir uns eine Unabhängigkeit von Russland angesichts dieses abscheulichen Angriffskrieges auf die Ukraine auch wünschen würden, ein Verzicht auf Erdgas, Öl und Kohle aus Russland ist kurzfristig nicht zu verantworten. Die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland wären sehr weitreichend“, erklärte VhU-Präsident Wolf Mang.

Deutschland bezieht mehr als die Hälfte seiner Erdgasimporte und knapp die Hälfte seiner Steinkohleimporte aus Russland. Bei Rohöl stammt rund ein Drittel der Importe aus Russland. Mang: „Diese Abhängigkeit ist ein Problem, weil es nicht nur eine energiewirtschaftliche, sondern eine sicherheitspolitische Dimension hat. Umso mehr müssen wir die Optionen Deutschlands realistisch abwägen. Die riesigen Energiemengen könnten weder auf der Importseite noch auf der Verbrauchsseite kurzfristig vollständig ersetzt werden.“

Die Industrie könne ihre Prozesse so kurzfristig nicht auf andere Energieträger umstellen. So benötigten etwa die Chemieunternehmen für fast alle Produkte das aus Öl hergestellte Rohbenzin Naphtha, nämlich 14 Millionen Tonnen pro Jahr. Mang: „Sollte es in der Chemie zu Produktionsschwierigkeiten kommen, stünden in Deutschland kurz darauf viele Fertigungsbänder still. Denn in 95 Prozent aller Industrieerzeugnisse stecken Chemieprodukte.“ Als weiteres Beispiel nennt der VhU-Präsident die Glasindustrie, die drei Viertel ihres Energiebedarfs mit Erdgas decken müsse, um die Schmelzöfen auf die erforderliche Temperatur von 1.400 Grad Celsius zu erhitzen. „Das Problem ist, dass die Anlagen niemals abgeschaltet werden dürfen. Andernfalls kommt es zu irrreversiblen Anlagenschäden von bis zu 50 Millionen Euro je Anlage und es würde mehrere Monate oder sogar Jahre dauern, die Anlage neu aufzubauen. Deshalb müssen die Anlagen immer mindestens auf Sparflamme laufen. Doch auch dann benötigen sie eine Mindest-Erdgasmenge von ca. 70 Prozent des Normalbetriebes.“

Das Erdgas aus russischen Pipelines durch Flüssiggas (LNG) zu ersetzen sei laut Mang erst mittelfristig eine realistische Option. Mang: „Pro Tag werden bereits 220 Millionen Kubikmeter Flüssiggas nach Europa geliefert. Viel mehr geht aktuell nicht, die LNG-Importe bewegen sich schon nahe dem historischen Höchststand. Außerdem gibt es auf dem globalen LNG-Markt kaum noch freie Kapazitäten. Das heißt, andere Empfänger müssten mit höheren Kaufpreisen überboten werden. Aber auch dann stellt sich die Frage, wie das Flüssiggas zum Endkunden gebracht werden soll. Deutschland hat derzeit keine LNG-Terminals. Die bestehenden Anladeterminals im europäischen Ausland sind weitestgehend ausgelastet und die LNG-Terminals, die jetzt in Norddeutschland gebaut werden sollen, sind frühestens in drei bis vier Jahren einsatzbereit.“

Der VhU-Präsident warnte zudem vor negativen Folgen für die Versorgung mit Diesel und Bitumen, sollten im Zuge eines Lieferstopps beispielsweise die großen Öl-Raffinerien Schwedt (Brandenburg) und Leuna (Sachsen-Anhalt) nicht mehr über Pipelines beliefert werden. „Ein Ausfall dieser Raffinerien hätte erhebliche Folgen für den Verkehrs- und den Bausektor. Rund 30 Prozent unseres Bitumen-Bedarfs wird in Schwedt und Leuna hergestellt. Ohne diese Mengen käme es sehr wahrscheinlich vielerorts zu Stillständen im Bau von Straßen und Brücken“, warnte Mang. Jedoch gebe es weder ungenutzte Raffinerie-Reservekapazitäten, die einen Wegfall der beiden großen Raffinerien ersetzen könnten, noch genügend Tankwagen samt Fahrer, um zusätzliche Stoffströme von Millionen Litern zu transportieren. „Wer jetzt nach einem Energie-Embargo ruft und mit einem Stopp russischer Energielieferungen kokettiert, ohne konkrete Ersatzlösungen zu nennen, handelt fahrlässig und verkennt, wie groß die Abhängigkeit – leider – derzeit noch ist“, so Mang.

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