Stellungnahme der VhU zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag für ein „Gesetz zur Umsetzung der Verkehrswende (Verkehrswendegesetz)“ - Landtagsdrucksache 20/11132 vom 28.08.2023
Verkehr
Zusammenfassung
Zum Hintergrund des Gesetzentwurfs
Der vorliegende Gesetzentwurf geht ganz offensichtlich auf das im Jahr 2022 durchgeführte Volksbegehren zur sog. „Verkehrswende“ und auf den von den Initiatoren des Volksbegehrens zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurf zurück. Zwar wurde damals das erforderliche Quorum erreicht, das Volksbegehren wurde aber nicht zugelassen. Denn der zur Abstimmung gestellte Gesetzentwurf verstieß gegen die hessische Verfassung, weil er nach den Feststellungen der Landesregierung nicht nur die Gesetzgebungskompetenz des Bundes missachtete, sondern auch mit unbestimmten Rechtsbegriffen operierte und damit das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verletzte.
Die SPD-Fraktion bringt den Vorschlag der Initiatoren des Volksbegehrens nun nahezu unverändert als eigenen Gesetzentwurf ein. Mit dem von der SPD-Fraktion im Wortlaut nur an wenigen Stellen veränderten Gesetzentwurf mag vielleicht die Verletzung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes behoben sein. Denn die für die Kompetenzverletzung streitigen Regelungen zum Straßenverkehrsrecht sind nicht enthalten. Dadurch aber, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe aus dem Vorschlag der Initiatoren des Volksbegehrens ohne nähere Konkretisierung in den vorliegenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion übernommen wurden, dürfte auch hier ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot vorliegen. Der Gesetzentwurf operiert nach wie vor mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe.
Es bestehen daher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs.
Zum Ziel des Gesetzentwurfs
Die SPD verfolgt mit dem Gesetzentwurf die Absicht, den Anteil des sog. „Umweltverbunds“ am Modal-Split „bis 2030 landesweit auf 65 Prozent“ zu erhöhen, indem der motorisierte Individualverkehr zwangsweise reduziert und massiv begrenzt wird.
Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, den motorisierten Individualverkehr „um mindestens 10 Prozent jährlich zu reduzieren“, und er ermächtigt in diesem Zusammenhang zu Eingriffen in Rechte der Bürger und Betriebe: „Der motorisierte Individualverkehr ist danach nicht ausreichend reduziert, wenn er nicht jährlich um zumindest 10 Prozent abnimmt. Wird dieser Wert nicht erreicht, muss der Träger der Straßenbaulast diejenigen Maßnahmen zur Stärkung des Umweltverbundes ergreifen, die nach seiner Einschätzung eine zeitnahe Zielerreichung ermöglichen. Diese Maßnahmen können auch mit verhältnismäßigen Eingriffen in private Rechte verbunden sein.“ (Seite 12 des GE, Begründung zu Art 3)
Von der zwangsweisen Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs betroffen wären sowohl mit fossilen Kraftstoffen betriebene Fahrzeuge, als auch Fahrzeuge mit Elektroantrieb und Fahrzeuge, die mit nachhaltigen Kraftstoffen betrieben werden, sowie Fahrzeuge mit sonstigen CO2-neutralen Antrieben. Das ergibt sich aus dem Umkehrschluss zur Definition des sog. Umweltverbunds in § 2 Nr. 5. Dort werden die Verkehrsmittel Fußverkehr, Radverkehr, öffentlicher Personennahverkehr sowie Angebote des Carsharings als sog. „Umweltverbund“ bestimmt.
Es handelt es sich um ein „Anti-Auto-Gesetz“, mit dem den Bürgern und Betrieben bei der Frage der (motorisierten) Fortbewegung die individuelle Freiheit stark eingeschränkt werden soll. Aus Sicht der Autoren des SPD-Gesetzentwurfs soll jeder, unabhängig von der persönlichen Situation, Bus-, Bahn- und sonstige öffentlichen Verkehrsangebote nutzen. Die hiermit verbundenen festgelegten Fahrzeiten und vorgegebenen Routen können jedoch nicht für alle Personen den tatsächlichen Bedarf an einer flexiblen, ungebundenen Fortbewegung erfüllen. Letztlich scheint es der Versuch zu sein, individuelle Unterschiede der Menschen in ihrer Lebensführung und Leistungsfähigkeit jedenfalls im Bereich der Fortbewegung zu verringern.
Die Absicht, den motorisierten Individualverkehr zwangsweise zu reduzieren, zeichnet diesen Gesetzentwurf als Negativbeispiel einer dirigistischen, von Verboten und Anmaßungen geprägten Verkehrspolitik aus. Damit verfolgt die SPD-Fraktion einen grundsätzlich abzulehnenden weil massiv freiheitsbeschränkenden Ansatz. Sie verkennt die Bedeutung der individuellen Entscheidungsfreiheit, die der Mobilität innewohnt und schürt den verkehrspolitischen Kulturkampf zwischen den Nutzern vermeintlich guter und vermeintlich böser Verkehrsmittel.
Zum einen werden die Bedarfe zur unabhängigen Beförderung von Menschen über längere Strecken sowie von kranken, alten oder gehbehinderten Menschen übersehen. Zum anderen werden hinsichtlich der Wirtschaftsverkehre die Erfordernisse zum Transport von Waren und die Notwendigkeiten an individueller Mobilität von Handwerkern und Dienstleistern weitgehend ignoriert.
Für Arbeitnehmer ist eine gute verkehrliche Erreichbarkeit ihrer Arbeitsstätten ein entscheidender Aspekt für die Wahl des Beschäftigungsverhältnisses. Eine gute verkehrliche Erreichbarkeit trägt zur Fach- und Arbeitskräftesicherung in den hessischen Unternehmen bei. Auswirkungen von Flächenknappheit in den Ballungsräumen sowie Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Luftreinhaltung beeinflussen die verkehrliche Erreichbarkeit der Arbeitsstätten und können zu einer Neu- oder Wegorientierung von Arbeitnehmern führen.
Verkehrsprognosen weisen darauf hin, dass Kraftfahrzeuge, und insbesondere das Auto, das Verkehrsmittel Nummer 1 für private Verkehre und für Wirtschaftsverkehre dauerhaft bleiben werden. Auch in den meisten (nicht allen) Gebieten der Städte wird der motorisierte Individualverkehr auf Jahrzehnte eine große Bedeutung haben. Und im ländlichen Raum sind die zu überwindenden Entfernungen für Verkehrsteilnehmer in der Regel so groß, dass nur eine motorisierte Fortbewegung in Betracht kommt. Der Anstieg des Verkehrsaufkommens sowohl beim Personen- als auch beim Güterverkehr wird die kommenden Jahre prägen. Das ist in vielerlei Hinsicht Ausdruck wirtschaftlicher Prosperität und gesellschaftlichen Wohlstands. Es ist eine gesellschaftliche Errungenschaft, dass für immer mehr Menschen die Begegnung mit anderen Menschen einfach und kostengünstig möglich ist und dass immer mehr Austausch von Waren stattfindet.
Aus Sicht der Wirtschaft ist eine staatliche Rahmensetzung erforderlich, die zur Erreichung der ökologischen und sozialen Ziele im Verkehr beiträgt und am ökonomischen Wachstum festhält. Das Anliegen, die umwelt- und klimaschädlichen Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren, ist aus Sicht der Wirtschaft voll zu unterstützen. Richtig ist auch, den ÖPNV massiv auszubauen und zu verbessern. Allerdings darf das nicht mit einer pauschalen oder großflächigen Verbannung von motorisierten Fahrzeugen einhergehen – egal ob sie mit Verbrennungsmotoren oder Elektroantrieben ausgestattet sind. Zumal der CO2-Ausstoß künftig durch das zweite CO2-Emissionshandelssystem mit sinkender jährlichen Obergrenzen reduziert werden wird. Auch deshalb muss die Verhältnismäßigkeit bei der Regelung des Umgangs mit Emissionen auf Ebene des Landes und der Kommunen gewahrt werden. Nicht den Verkehr an sich, sondern dessen negativen Effekte gilt es zu verringern.
Für die hessische Wirtschaft gibt es kein per se bestes oder bevorzugtes Verkehrsmittel. Die Verkehrsmittelwahl sollte bedarfsgerecht erfolgen können. Insofern ist es richtig, dass mit dem Gesetz auch der Rad- und Fußverkehr sowie der öffentliche Personennahverkehr als weitere Arten der Fortbewegung neben dem motorisierten Individualverkehr in den Blick genommen wird. Um im Rahmen der Mobilitätswahlfreiheit die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsträger und Fortbewegungsmittel für die Verkehrsteilnehmer attraktiv zu machen, müssen sowohl der jeweilige Verkehrsträger an sich, als auch die Verknüpfung der Verkehrsträger untereinander so komfortabel und einfach wie möglich gestaltet sein.
Das Ziel des Gesetzentwurfs, die Mobilität in Hessen bis 2030 klimaneutral zu gestalten, ist völlig überambitioniert. Der hessische Klimaplan sieht derzeit eine Reduzierung der Emissionen im Sektor Verkehr um 35 Prozent bis 2030 vor – auch das ist schon reichlich ambitioniert.
Die Zielbestimmung im Gesetzentwurf, wonach „allen Menschen in Hessen […] eine gerechte Teilhabe an Mobilitätsangeboten und Verkehrsinfrastruktur […] gewährleistet werden“ soll, ist gleichermaßen unbestimmt wie verzichtbar. Denn: Was heißt hier „gerecht“? Auf solch vage und politisch hoch umstrittenen Begriffe, die in anderen Politikfeldern bedeutsam sind, sollte ein Gesetz zur Verkehrspolitik verzichten.
Die Zielsetzung der Vermeidung von Verkehrsunfällen mit Todesfolgen oder schweren Personenschäden ist vollumfänglich zu unterstützen. Die dazu mit dem Hessischen Nahmobilitätsgesetz kürzlich vorgenommenen Gesetzesänderungen werden als ausreichend erachtet, sodass es der im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen nicht bedarf.
Zur Finanzierung
Hinsichtlich der Finanzierung und der Mittel, die für die Umsetzung der im Gesetzentwurf enthaltenen Maßnahmen erforderlich sind, werden im Gesetzentwurf keine konkreten Angaben gemacht.
Der Gesetzentwurf beschränkt sich beispielsweise in § 15 und in § 18 darauf, dass das Land „umfassende Personal- und Sachmittel zur Verfügung“ stellt. Zu den finanziellen Auswirkungen heißt es, dass mit gesteigerten Kosten zu rechnen ist, die „aktuell noch nicht konkret beziffert werden“ können.
Aufgrund des Konsolidierungsbedarfs im Landeshaushalt zur Wiederherstellung solider Landesfinanzen kann kurz- und mittelfristig nur ein kleiner Teil des immensen Investitionsbedarfs für den Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebots realisiert werden. Denn Landtag und Landesregierung müssen an einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik und am Neuverschuldungsverbot festhalten. Das limitiert alle Politikfelder, auch die Wünsche in der Verkehrspolitik. Gäbe das Land mehr aus als es einnähme, müsste es Schulden machen und deren Tilgung kommenden Generationen aufbürden. Zinszahlungs- und Tilgungspflichten würden den zukünftigen Handlungsspielraum noch stärker als bisher schon einengen. Das ist aus Gründen der Generationengerechtigkeit abzulehnen. Insbesondere die hohen Landesausgaben für die Subventionierung von ÖPNV-Tickets, beispielsweise das Deutschlandticket, reduzieren massiv den Spielraum für dringend notwendige Investitionen in den Ausbau des Angebots.