Hessisches Lehrerbildungsgesetz

Die VhU begrüßt die Neuausrichtung, vermisst jedoch tiefgreifende Reformen in der Lehrkräfteausbildung - Stellungnahme zu Drs. 20/6867

24.01.2022 9 Min. Lesezeit

Vorbemerkung und Zusammenfassung

Die Landesregierung hat einen Entwurf für ein „Gesetz zur Änderung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes und anderer schulrechtlicher Vorschriften“ (Drucks. 20/6847) eingebracht. Der Kulturpolitische Ausschuss hat in diesem Zusammenhang die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) im Rahmen einer Anhörung zur Stellungnahme aufgefordert. Hierfür danken wir und kommen der Aufforderung gerne nach.

Die VhU begrüßt eine Novellierung des hessischen Lehrerbildungsgesetzes und auch, dass die Landesregierung damit ein lang geplantes Vorhaben angeht. Denn: Modernisierungsprozesse und -entwicklungen im Bildungssystem haben sich in den vergangenen Monaten und Jahren stark beschleunigt. Dass sich diese Prozesse und damit zusammenhängende Erfordernisse in der Lehrkräftebildung niederschlagen, ist nach fast zehn Jahren notwendig.

Die Landesregierung hat sich nach Einschätzung der VhU mit dem Gesetzesentwurf für eine moderate Anpassung der Lehrkräftebildung entschieden. Wichtige Themenfelder werden aufgegriffen, die bisher noch kein deutliches Abbild im Gesetz fanden. Dazu zählen gerade die für die Wirtschaft bedeutenden Bildungsthemen digitale Bildung und berufliche Orientierung. Diese im Kontext der Lehrkräftebildung zu stärken und aufzuwerten ist positiv und aus Sicht der Wirtschaft elementar, denn Lehrkräfte übernehmen hier eine entscheidende und wichtige Rolle bei der Kompetenzentwicklung und der Berufsfindung der jungen Generation. Wünschenswert wäre jedoch eine verbindlichere Verankerung.

Auch einige andere mit dem Gesetz intendierte Einzelvorhaben sind aus Sicht der VhU zu begrüßen. Dazu zählen die Entscheidung, landesweit einheitliche staatliche Prüfungsaufgaben für die Erste Staatsprüfung zu ermöglichen und die pädagogische Facharbeit zugunsten einer „Ausbildungsveranstaltung zum Innovieren von Schule und Unterricht“ abzuschaffen. Der Gedanke eines ausbildungs- und berufsbegleitenden Portfolios ist wie die Reduktion der Berufserfahrung als Prämisse für den Quereinstieg im Grundsatz positiv. Das Ziel, die Praxisanteile im Rahmen der Lehrkräfteausbildung auszubauen bzw. regelhaft zu verankern, ist ebenfalls zu befürworten. Die VhU vermisst neben der im vorherigen Entwurf vorgesehenen Verankerung der KMK-Standards für die Lehrkräftebildung im Gesetz jedoch weitergehende und verbindlichere Impulse zur Lehrkräftefortbildung, gerade bezogen auf virtuelle Formate.

Angesichts der sehr großen Herausforderungen und Modernisierungsentwicklungen im Bildungssystem birgt eine Novellierung die Chance, die hessische Lehrkräfteaus- und -fortbildung auf zeitadäquatere Säulen zu stellen. Diese Chance wird aus Sicht der VhU durch den vorliegenden Gesetzesentwurf nicht ergriffen. Denn eine grundlegende Reform der Lehrkräftebildung ist mit dem Entwurf nicht angelegt. Die Lehrkräftebildung erhält ein Lifting der bestehenden, aber keine neuen Strukturen. Das ist aus Sicht der VhU bedauerlich. Im Gegenzug hätte sich die VhU mehr Mut und Innovationskraft erwartet, um das im Koalitionsvertrag der Landesregierung formulierte Ziel von einer „Lehrkräftebildung aus einem Guss“ Realität werden zu lassen.

Im Einzelnen

  • Inhalte und Ziele der Lehrkräftebildung
    Die Aufnahme der „Querschnittsthemen“ in § 1 Abs. 3 HLbG ist zu begrüßen. Dies gilt aus Sicht der Wirtschaft insbesondere für die berufliche Orientierung, die Medienbildung/Digitalisierung und den Ganztag. Zweifelsohne ist der Schritt, diesen Themen mit der rechtlichen Aufwertung Priorität einzuräumen, positiv hervorzuheben. Leider bleibt es jedoch bei einer reinen Absichtserklärung zur stärkeren Verankerung. Eine verbindlichere Verankerung (z. B. durch Aufnahme in § 1 Abs. 2 HLbG) wäre wünschenswert. Dies gilt aufgrund der bereits zehn Jahre alten entsprechenden Beschlusslage der KMK im Besonderen für Medienbildung und Digitalisierung.

    Wichtig wäre für die Umsetzung in der Praxis zudem eine detailliertere Einbindung und Einbettung in die Strukturen der Lehrkräftebildung, sowohl in der ersten als auch der zweiten Phase. Die Schule ist der zentrale Ort, an dem Berufsorientierung begleitet wird. Sinnvoll wäre, Grundlagen der Kompetenzfeststellung und -entwicklung sowie der Berufsorientierung bereits im Studium zu vermitteln. Sie können ggf. später noch extern unterstützt und aufgefrischt werden; der Kompetenzerwerb hierzu wäre idealweise bereits bei der Lehrkräfteausbildung im Studium zu sichern, für bereits tätige Lehrkräfte scheinen verbindliche Fortbildungsangebote sinnvoll. Hierzu bedarf es externen Know-hows, das eingebunden werden muss.

  • Fortlaufendes Portfolio in digitaler Form
    Die im Vergleich zum Vorentwurf neu enthaltene Einschränkung zur Führung des fortlaufenden Portfolios in digitaler Form („sofern die technischen Voraussetzungen vorliegen“, § 2 Abs. 3 HLbG) ist ein Rückschritt, insbesondere vor dem Hintergrund der erfreulicherweise voranschreitenden Schuldigitalisierung. Hier sollte die alte Formulierung verwendet und das digitale Führen des Portfolios ohne Ausnahme als Standard gesetzt werden; sofern tatsächlich technische Voraussetzungen fehlen, sollte vielmehr diesbezüglich Abhilfe geschaffen werden.

  • Standards der Lehrkräftebildung
    Die VhU hatte an der vorherigen Fassung des Gesetzentwurfs begrüßt, dass die Standards für die Lehrerbildung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland als verbindliche Grundlage in das Gesetz aufgenommen werden sollten. Diese Ausführungen finden sich im aktuellen Gesetzentwurf nicht mehr. Dies ist bedauerlich, da so der Eindruck entsteht, dass das Land den Beschlüssen (doch) nicht folgt und einen Sonderweg einschlägt. Wir sprechen uns daher für die ursprünglich vorgesehene verbindliche Anerkennung bzw. die ursprünglich vorgesehenen Ausführungen in § 1 und § 5 HLbG sowie in § 6a HLbGDV aus.

  • Lehrkräftenachwuchs / Quereinstieg
    Wir verstehen das Argument personeller Engpässe und das Streben nach kurzfristigen Lösungen. Da das Lehrkräftebildungsgesetz voraussichtlich jedoch für mehrere Jahre gelten wird, sollten die gesetzlichen Weichen an dieser Stelle weitreichender gestellt werden. Die im Gesetzesentwurf angelegte Verkürzung der Berufserfahrung für den Quereinstieg (§ 3 Abs. 8 HLbG) ist ein Baustein, der kurzfristig hilfreich sein kann. Dennoch stellt sich die Frage, welche weiteren Bausteine Abhilfe schaffen können. Ein hessisches Masterprogramm Education wäre ein hilfreicher Ansatz, der sowohl in Vollzeit als auch berufsbegleitend gestaltet werden sollte. Es würde zudem einen alternativen Weg der Lehrkräfteausbildung für Quereinsteigerinnen und -einsteiger eröffnen. Durch die bestehende Modularisierung der Lehrkräfteausbildung sind hier Ansatzpunkte gegeben.

  • Erweiterungsprüfungen
    Die Abschaffung der Ungleichbehandlung in Bezug auf die Anforderungen von Erweiterungsprüfungen im Vergleich zur Ersten Staatsprüfung (§ 33 Abs. 3 HLbG) sind genauso zu begrüßen, wie die Möglichkeit zur Anerkennung von schulpraktischen Phasen für das Studium des Erweiterungsprüfungsstudiengangs (§ 33 Abs. 2 HLbG). Beide Maßnahmen führen zu einer Attraktivitätssteigerung von Erweiterungsprüfungen, die sich insbesondere auch auf Mangelfächer positiv auswirken können.

  • Einheitliche Abschlussprüfungen im 1. Staatsexamen / Bachelor und Master
    Unter der Prämisse, dass die Landesregierung am Staatsexamen offenkundig festhalten wird, begrüßt die VhU das Vorhaben landesweit einheitlicher staatlicher Prüfungsaufgaben für die Erste Staatsprüfung (§ 22 Abs. 2 HLbG). Damit wird der Anspruch und die Prüfung einheitlicher Standards stärker erfüllt als bislang. Zugleich wird die Qualität der Lehrkräfteausbildung vergleichbarer und auch im nationalen Vergleich wertet dies das hessische Staatsexamen auf.

    Schade ist, dass im Kontext der Abschlussprüfung nicht eine Anlehnung zum Bachelor- und Mastersystem mitgedacht ist. Zumindest eine der beiden Abschlussarten sollte mit Abschluss eines Lehramtsstudiums angerechnet werden. Dies ließe sich über die bestehende Modularisierung des Studiums abbilden. Eine strukturelle Umstellung der Lehrkräfteausbildung auf Bachelor und Master hätte die VhU generell favorisiert. Hier wäre die Chance gewesen, über die duale Struktur Einheitlichkeit, Transparenz und Profilierung zu ermöglichen. Für die Studierenden wäre zudem der Vorteil gegeben, nach dem grundständigen Studiengang einen hochschulisch anerkannten Abschluss zu erwerben. Für die Studienwahl und den Gewinn von Nachwuchskräften hätte dies einen Mehrwert geboten.

  • Abschaffung des Orientierungspraktikums / Praxissemesters als Regelfall
    Die Landesregierung begründet, dass eine Abschaffung des Orientierungspraktikums sinnvoll ist, da das Praktikum wenig Auswirkung auf die Berufswahl habe. Das ist grundsätzlich nachvollziehbar, allerdings stellt sich die Frage, inwieweit eine Eignung für das Lehramtsstudium im Vorfeld alternativ erfolgen soll.

    Das neue Grundpraktikum setzt im Studium an und kann demnach die Studienwahl vor Aufnahme nicht beeinflussen. Denkbar ist, an Stelle eines Praktikums vor Aufnahme des Studiums einen Eignungstest durchzuführen, den die VhU schon sehr lange empfiehlt. Die Ausweitung des Praxissemesters als Regelfall ist keine Kompensation dafür, um zu Beginn des Studiums die pädagogische Eignung zu überprüfen, sowohl von Seiten des oder der Studieninteressierten als auch der ausbildenden Hochschule.

    Die generelle Überführung des Praxissemesters in den Regelfall befürwortet die VhU. Wünschenswert wäre, dass bereits im Rahmen des Praxissemesters Elemente digitaler Didaktik Pflichtbestandteil werden. Ein entsprechender Einbezug in die HLbGDV (§ 19) erscheint hierfür sinnvoll.

  • Pädagogische Facharbeit
    Der künftig vorgesehene Verzicht auf die pädagogische Facharbeit ist grundsätzlich zu begrüßen. Ob eine „Ausbildungsveranstaltung zum Innovieren von Schule und Unterricht“ mit dem Schwerpunkt bildungspolitisch relevanter Fragestellungen ein guter Ansatz ist, lässt sich aufgrund der Ausführungen im Gesetzentwurf noch nicht beurteilen. Sofern die in § 1 Abs. 3 HLbG genannten Querschnittsthemen nicht ohnehin ggf. noch verbindlicher verankert werden, wäre an dieser Stelle hilfreich, dass diese Themen zumindest hier eine verbindlichere Rolle spielen und über die HLbGDV als Inhalte dieser Veranstaltung verankert werden.

  • Lehrkräftefortbildung
    Die Ausführungen zur Fortbildung von Lehrkräften sind begrenzt und rekurrieren insbesondere auf das berufsbegleitende Portfolio. Auch eine Erweiterung der Fortbildung um (externe) virtuelle Fortbildungsangebote wird nicht thematisiert. Aus Sicht der VhU bedarf es bei der Lehrkräftefortbildung wieder einer höheren Verbindlichkeit für Lehrkräfte, Fortbildungsangebote wahrzunehmen. Die Abschaffung des administrativ aufwendigen Punktesystems vor einigen Jahren beließ es bei einer abstrakten, da in der Praxis offensichtlich nicht nachgehaltenen, Fortbildungsverpflichtung. Regelmäßig zielführende Fortbildungen werden sehr unterschiedlich wahrgenommen. Sie sollten selbst im Bewusstsein der an vielen Orten schmalen Personaldecke nicht vernachlässigt werden.

    Die Fortbildungsangebote sollten über dringende Anliegen, etwa des Know-hows bei der Nutzung digitaler Medien, hinausgehen und systematischer organisiert sein. Zur Erreichung von Mindeststandards sollten zudem eine Verpflichtung für Fortbildungen zu „Berufsorientierung“ und auch zum Erwerb von Grundkompetenzen digitaler Bildung verankert werden. Damit eine zielführende Personalentwicklung der Lehrkräfte ermöglicht werden kann, benötigt es – wie im Koalitionsvertrag der Landesregierung vorgesehen – einer adäquaten Anpassung (also Erhöhung) des individuellen Fortbildungsbudgets.

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